Textdaten
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Autor: M. Necker
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Titel: Stella Hohenfels
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aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 610, 611
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[610] Stella Hohenfels. (Mit Bildnissen S. 611.) Im Burgtheater zu Wien findet am 8. September eine Jubiläumsfeier statt. Sie gilt der Schauspielerin Stella Hohenfels, die nunmehr auf eine fünfundzwanzigjährige Thätigkeit an dieser berühmten deutschen Bühne zurückblickt und in dieser langen Spanne Zeit durch Ausdauer und ernstes Streben die Gunst des Wiener Publikums und die Anerkennung der Kritik zu erringen verstand.

Die Jubilarin vertritt, um in der Theatersprache zu reden, das Fach der „Naiven“, dem sie aber in eigenartiger Weise einen weiten Umfang gegeben hat. Ihr Repertoire umfaßt nicht allein die naiven Gestalten in engerem Sinne, die spröden Backfischfiguren des älteren Lustspiels, die knabenhaften Mädchenrollen wie z. B. die der Parthenia im „Sohn der Wildnis“ von Halm oder des Junker Georg im „Götz von Berlichingen“. Ihre Kunst geht über diese Grenzen hinaus und erstreckt sich überhaupt auf die Darstellung von Frauengestalten, die bei aller Wärme und Innigkeit der Empfindung nicht gerade einen tragisch-heroischen Zug, wie z. B. eine Medea oder Judith, aufweisen. So hat Stella Hohenfels in der Vorführung der Cordelia und Ophelia Shakespeares sich hervorgethan, die reife Jdealgestalt der Leonore von Este in „Torquato Tasso“ und die Esther in Grillparzers gleichnamigem Fragment mit tiefem Verständnis wiedergegeben und als Darstellerin der Phöbe, der Gattin des „Meisters von Palmyra“, in Adolf Wilbrandts Dichtung einen glänzenden Erfolg errungen. Die Künstlerin besitzt die Gabe, die Einfalt des Naturkindes lebenswahr vorzutäuschen und auch den Seelenkampf einer Frau aus der verfeinertsten Gesellschaft zum wirksamen Ausdruck zu bringen. Mitunter gelingt es ihr auch, ihre Rollen zu „adeln“, indem sie derbere Gestalten wie z. B. den Puck im „Sommernachtstraum“ mit schelmischer Anmut umkleidet.

Trotz ihrer vielseitigen Begabung konnte Stella Hohenfels nur langsam in die erste Reihe der Schauspielerinnen des Burgtheaters [611] vorrücken. Sie debütierte in Wien als Gast am 30. Mai 1873 als Helene in Scribes „Feenhände“. Dr. August Förster hatte sie damals auf einer Kunstreise in Berlin, wo sie am Nationaltheater spielte, „entdeckt“. Bei jenem Gastspiel war Fräulein Hohenfels wenig über neunzehn Jahre alt. Sie kam, wenn unsere Quellen nicht trügen, am 16. April 1854 in Florenz zur Welt und hatte nur eine kurze theatralische Praxis hinter sich. Das Fräulein war nämlich bis zum Ausbruch des deutsch-französischen Krieges in einem Pariser Kloster erzogen worden; ihre Muttersprache war die französische, dann wurde sie in ein Pensionat bei Stuttgart gebracht, wo sie deutsch lernte.

Esther in Grillparzers „Esther“.       Ophelia im „Hamlet“.       Puck im „Sommernachtstraum“.
Junker Georg im „Götz von Berlichingen“.   Phöbe im „Meister von Palmyra“.     
Stella Hohenfels.

Von hier ging Stella nach Leipzig, nahm dort dramatischen Unterricht, und nach wenigen Wochen fand sie schon ein Engagement in Berlin. Als Käthchen von Heilbronn erregte sie Aufsehen, obwohl sie der deutschen Sprache noch nicht ganz mächtig war. Da lernte Förster sie kennen, der sie nach Wien zu Dingelstedt brachte. Nach dem erwähnten Debüt spielte Fräulein Hohenfels ein zweites Mal am 5. Juni 1873 die Desdemona im „Othello“. Am 1. September 1873 wurde sie zunächst auf drei Jahre am Burgtheater engagiert, aber erst am 15. Juni 1882 erhielt sie das Dekret als Hofschauspielerin und am 1. September 1887 das Engagement auf Lebenszeit. Vor etwa fünfundzwanzig Jahren wirkte am Burgtheater eine Reihe glänzender weiblicher Talente: neben der Wolter und Gabillon die berühmte Auguste Baudius (als Frau Wilbrandt von der Bühne abgegangen, neuerdings wieder am Burgtheater engagiert), Wessely, Janisch, Buska, Helene Hartmann …. Das Fach der Naiven und Sentimentalen, das in den letzten Jahren nur sehr wenig hervorragende Vertreterinnen hatte, war damals reichlich vertreten. Dieser Umstand war für Stella Hohenfels nicht in jeder Hinsicht günstig. Während der ersten Jahre ihres Engagements mußte sie sich mit dem begnügen, was die anderen Kolleginnen übrig ließen. Es wurden ihr überhaupt jahrelang sprödere Rollen zugewiesen; man hielt ihre Begabung beschränkt auf das Fach der „Knabenmädchen“, weil sie den Junker Georg so glänzend gespielt hatte, und traute ihr anfangs keine anderen oder größeren Aufgaben zu. Die Schule, welche Stella Hohenfels in diesen Jahren der Dingelstedtschen Direktion durchmachte, entbehrte daher gewiß nicht der Strenge, war reich an Prüfungen, aber sie hatte doch das Gute zur Folge, daß sie die Künstlerin zwang, auch Aufgaben gerecht zu werden, die sie nicht sofort anzogen, oder Rollen zu einer guten Wirkung zu verhelfen, die ohne ein gutes Spiel verloren gewesen wären.

Seit dem 29. Juni 1889 ist Stella Hohenfels mit dem geistvollen Dichter und Professor der Aesthetik an der Wiener Universität Alfred Freiherrn von Berger vermählt. Die Ehe ist kinderlos, aber darum nicht minder glücklich in ihrer Art. Naturgemäß kann das Zusammenleben einer Schauspielerin mit einem litterarisch hochstehenden Manne nicht ohne vorteilhafte Rückwirkung auf ihre Kunst bleiben, wie es die Ehen Hebbels mit Christine Enghaus, Wilbrandts mit Auguste Baudius bewiesen.

Ueber das Privatleben der Künstlerin ist sehr wenig in die Oeffentlichkeit gedrungen. Sie lebt nicht in großer Geselligkeit und läßt sich außer dem Theater selten einmal sehen. Urlaub und Ferien benutzt sie nicht zu Gastspielen, sondern zu Studienreisen nach Italien und Paris, wo sie sich immer neue Anregung für ihre Kunst holt. M. Necker.