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Titel: Staub
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 659–660
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[659] Staub. Wir alle wissen, daß die Atmosphäre – das unwägbare Element der Alten – eine schwere elastische, aus zwei Gasen zusammengesetzte Substanz ist. Das eine dieser Gase, der Sauerstoff, ist das Princip des Lebens; das andere, der Stickstoff, dient dazu, die allzu energische Wirkung des erstern zu mildem, und macht die Atmosphäre eigentlich zu einer Art verdünnter Auflösung von Sauerstoff.

Ebenso wissen wir, daß in der Atmosphäre Kohlensäure, Wasserdunst und leichte Spuren von Jodin vorhanden sind, und daß diese fünf Körper – Sauerstoff, Stickstoff, Kohlensäure, Wasserdunst und Jodin – sich blos im Zustande Mischung, nicht aber in dem chemischer Combination befinden.

Neben diesen einfachen und zusammengesetzten Substanzen sind noch jene Myriaden von Atomen vorhanden, welche bei vollem Tageslicht nicht wahrnehmbar sind, aber in einem einzelnen Sonnenstrahl wie kleine Silberflittern wirbeln und funkeln – jene in der Atmosphäre schwebenden Körperchen, deren allmählicher Niederschlag das ausmacht, was man gewöhnlich Staub nennt.

Dieser bisher nur flüchtig beachtete Körper ist es, welchem ein neuerer französischer Naturforscher, Namens Pouchet, in der letzten Zeit seine Aufmerksamkeit gewidmet hat. Wer diesen unermüdlichen Forscher von seinen Apparaten, Gläsern und Büchsen umgeben und ihn dieselben mit so unablässiger Aufmerksamkeit betrachten sieht, könnte glauben, er sei ein moderner Alchymist, der den Stein der Weisen suche, oder ein Geiziger, der sich an dem Anblicke kostbarer Juwelen weide. Und dennoch enthalten diese Röhren und Gläser weder Gold noch Perlen noch Edelsteine, sondern einfach weiter nichts als atmosphärischen Staub.

Es läßt sich nicht leugnen, daß die größte Ausdauer erforderlich war, um diese kostbaren Pulver zu sammeln. Es gibt hier Proben aus allen Theilen der Welt, Dieser Staub zum Beispiel kommt aus der Abtei Fécamp; jener aus einem verfallenen Tempel Griechenlands; dieser von dem Thurme [660] St. Georg in Rouen, und jener aus den alten Grabmälern Oberegyptens. Wer weiß, ob nicht ein Theil davon früher in der die Pharaonen umgebenden Atmosphäre geschwebt hat.

Woraus aber bestehen diese verschiedenen Proben von Staub? Ihre Bestandtheile können in zwei Gruppen getheilt werden, von denen die eine einen mineralischen Ursprung hat und die andere der organischen Natur entstammt.

Die nichtorganischen Bestandtheile sind von nicht sehr mannichfaltigem Charakter, sondern weiter nichts als die Ueberreste von Felsen, die durch die in der Natur fortwährend thätigen mechanischen Kräfte – Hitze und Kälte, Regen und Wind, Alluvialfelsen in den Thälern und Ebenen und plutonische Felsen in Gebirgen vulcanischen Ursprungs – in ungreifbares Pulver verwandelt worden sind.

Die organischen Ueberreste dagegen sind in der größten Mannichfaltigkeit zugegen. Wir wollen, um dies zu veranschaulichen, uns womöglich einmal denken, daß in Folge der Einwirkung irgend einer übernatürlichen Gewalt sämmtliche jetzt vorhandenen Thiere und Pflanzen plötzlich von der Oberfläche der Erde hinweggenommen wären und daß mitten in dieser ungeheuren Wüste ein einsamer Naturforscher stände – der einzige noch auf der Erde zurückgebliebene lebende Bewohner. Wir wollen ferner annehmen, daß in seiner Brust noch Lust zum Studium lebt, und ihm ein starkes Mikroskop in die Hand geben.

Wünscht er zu wissen, was für Pflanzen früher auf dem Boden blüheten, auf dem sein Fuß wandelt? welche Gattungen von Thieren früher diese unermeßlichen Wüsteneien bewohnten? Dann möge er nur ein kleines Häufchen Staub von jener Säule sammeln, die mitten in der allgemeinen Verödung stehen geblieben ist.

Diesen Staub unterwirft er einer angemessenen vergrößernden Kraft und sieht hier die Ueberreste aller organischen Wesen von dem Schmarotzermoose bis zur vollkommensten Pflanze, von dem niedrigsten Pflanzenthiere bis zum Menschen.

Zuerst sieht er jene unendlich kleinen Würmer, deren Körper in zwei Kronen oder kleine Räder auslaufen, jene Gerippe von Infusorien, diesen seltsamen Thierchen, welche sich freiwillig in mehrere lebende Stücke spalten können. Neben diesen Zoophyten oder Pflanzenthieren sieht er die Ueberreste von höher organisirten Wesen. Einige Fragmente von harten hornigen Flügeln erinnern ihn an jene Flügeldecken, unter welchen gewisse Insecten – die aus diesem Grunde Coleopteren genannt werden – ihre Häutchen und durchsichtigen Flügel verbergen. Einige feine Schuppen erinnern ihn an die Lepidopteren oder Schmetterlinge. An diesen Spätsommerfäden erkennt er das schwebende Gewebe der Spinne, und die Haare von zahllosen Gattungen Federn und Häuten beweisen ihm, daß die Luft mit Vögeln und die Erde mit Säugethieren bevölkert war.

Die Ueberreste des Pflanzenreichs sind nicht weniger zahlreich. Man sehe zum Beispiel diese Fragmente von Zellen und spitzigen gestreuten oder leiterförmigen Gefäßen. Diese Ueberreste von spiralförmigen Gefäßen rühren von Pflanzen mit einem oder mehrern Samenblättern oder Kotyledonen her. Wenn die Ueberbleibsel von holzigen Fasern nicht so reichlich vorhanden sind, so sind dagegen Körnchen von Blumenstaub, Klümpchen von Blumenfasern und die scharfen Stacheln der Brennnessel in Menge anzutreffen, und die blau-, roth- oder grüngefärbten Baumwollenfasern sind überzeugende Beweise von menschlicher Betriebsamkeit.

Ganz besondere Aufmerksamkeit aber verdient die auffallende Menge von Stärkekörnchen in dem Luftstaube. Dabei darf man nicht glauben, daß diese Stärke irgend eine ihrer Eigenschaften verloren habe. Sie löst sich noch in siedendem Wasser, eine Sodalösung bewirkt noch eine Vermehrung ihres Volumens, sie nimmt sofort eine blaue oder violette Färbung an, wenn sie mit Jodin in Berührung kommt, und besitzt mit einem Wort noch alle Eigenschaften so eben erst bereiteter Stärke. Auch darf man nicht glauben, daß diese Stärkekörnchen blos in Staub, der aus neuerer Zeit herrührt, zu finden seien, denn sie werden selbst in den ältesten Proben angetroffen.

Eine merkwürdige Thatsache darf in Bezug hierauf nicht unerwähnt bleiben, und diese ist, daß, während die Stärkekörnchen in Staub von neuerer Formation gewöhnlich von in’s Graue spielender Färbung sind, die älteren Proben dagegen eine violette Farbe haben.

Worin liegt der Grund dieser Verschiedeneheit in der Farbe?

Die Antwort auf diese Frage würde den Scharfsinn der Forscher noch lange beschäftigt haben, wenn nicht der Franzose Chatin vor einigen Jahren entdeckt hatte, daß die Atmosphäre Jodindunst enthält, und da es jetzt anerkannt ist, daß dieser Dunst in der Atmosphäre wirklich vorhanden ist, und da wir alle wissen, daß Jodin die Stärke violett färbt, so ist nichts einfacher als die Erklärung, die auf diese Weise von der blauen Färbung gegeben wird, die an dem in unsern alten Kathedralen oder in den unterirdischen Tempeln Oberegyptens gefundenen Staube sich zeigt.

Auf diese Weise sieht man, daß die in der Atmosphäre schwebenden kaum sichtbaren Atome etwas von Allem enthalten. Die drei Reiche der Natur begegnen sich in einer Prise Staub.

Ein neuerer Naturforscher sagt, es werde eine Zeit kommen, wo wir Alle von der aus comprimirter Luft gewonnenen Nahrung leben werden. Und warum wäre dies nicht möglich, da Stärkekörnchen in der Atmosphäre so reichlich vorhanden sind?