Textdaten
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Autor: Dr. J. Hermann Baas
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Titel: Staarblindheit
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aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 92-96
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Staarblindheit.

Von Dr. J. Hermann Baas (Worms).

Wenn ein Deutscher über eine rechte Sache schreibt, verfährt er bekanntlich am liebstell in größter Ordnung und beruft sich dabei noch gern auf Autoritäten. Je größer diese sind, desto besser!

Vor allen Dillgen giebt er demgemäß eine Begriffsbestimmung dessen, worüber er schreiben will, und findet dafür gewichtige Beispiele in Menge: hat doch sogar ein Goethe im „Faust“ (im einleitenden Monologe) diesen zuerst ausführlich – sich selbst definiren lassen! Wir dürfen also wohl auch auf die Verzeihung des Lesers hoffen, wenn wir hier, natürlich im Kleinen, dieses Verfahren nachahmen und an der Spitze unserer Darlegung eine kurze Begriffsbestimmmung davon geben, was man denn unter „Staar“ zu verstehen hat, um so mehr, als die tägliche Erfahrung lehrt, daß in Laienkreisen fast überall darüber große Unklarheit herrscht.

„Staar“ nennt man im Allgemeinen jede bedeutende und dauernde Schwächung des Sehvermögens, sobald sie die Neigung hat, fortwährend zuzunehmen und zuletzt, wenn ihr nicht Einhalt geboten wird oder geboten werden kann, zur Erblindung zu führen. Ein Merkmal ist noch wichtig, nämlich das, daß man am äußeren Auge lange Zeit hindurch oder auch für immer nichts Krankhaftes wahrnimmt, daß der verhängnißvolle Proceß also im Innern des Auges unheimlich, allmählich und verborgen sich abspielt. Man unterscheidet, im Anschluß an die uralte Volksauffassung, die freilich der neueren Wissenschaft ganz und gar nicht mehr genügt, immer noch zwischen grauem, grünem und schwarzem Staar. Die Gefährlichkeit dieser Formen aber taxirt man von jeher nach derselben Reihenfolge, wie wir sie hier aufführen. Es sei aber sogleich bemerkt, daß die Schwere dieser Uebel vielfach überschätzt wird: ist doch der graue Staar fast immer heil- oder vielmehr operirbar; auch von dem grünen, wenn er rechtzeitig erkannt wird, gilt in den meisten Fällen dasselbe: nur der schwarze führt, wenn auch viel seltener, als früher, auch heute noch oft genug zum nahezu vollkommenen oder gar zum vollständigen, dauernden Verluste des Sehvermögens. Näheres wird sich aus dem Folgenden ergeben.

Der „graue Staar“, der häufigste von allen, hat seinen Sitz in der Augenlinse und heißt deshalb auch wohl kurzweg der Linsenstaar. Er ist nichts weiter, als eine Trübung, ein Undurchsichtigwerden jenes Gebildes. Durch ihn wird die Pupille, die im gesunden Zustande bekanntlich immer tief schwarz ist, grau – daher der Name der Krankheit! Sie ist vorzugsweise eine Folge des höheren Alters und eine Erscheinung, die man mit dem Grauwerden der Haare recht wohl vergleichen darf, nur daß sie nicht so häufig und so regelmäßig auftritt, wie dieses. Die schweren Folgen derselben entspringen aber nur der Stelle, an der sie sich zeigt. Uebrigens ist das Leiden nicht ausschließlich, wie meistens geglaubt wird, ein solches der späteren Lebensjahre, sondern kommt sogar angeboren, selbst erblich vor und entwickelt sich noch oft genug in den Jünglings- und Mannesjahren, wenn auch allerdings viel seltener, als bei Greisen. Man darf demnach wohl sagen, auch dieses Uebel verschont kein Alter und kein Geschlecht!

Mit Rücksicht auf das Sehen aber kann der graue Staar als ein blos mechanischer Verschluß der Pupille, als eine Art Verstopfung, die den Lichteintritt in das Auge verhindert, betrachtet werden. Wird also dieser graue Pfropf, den die trübgewordene Linse bildet, herausgenommen – das einzige Heil- und sicherste Operationsverfahren! – so kann das Licht wieder eintreten und [94] das Sehen wird dadurch wieder möglich. Wenn man die entfernte Augenlinse dann nur durch eine äußere, starkbrechende Glaslinse (Fig. 1, c) ersetzt, das heißt den Operirten eine sogenannte Staarbrille tragen läßt, so ist sogar ganz scharfes Sehen wieder möglich, weil durch eine solche das Bild der äußeren Gegenstände (a b) wieder genau auf die Netzhaut (c d) geleitet wird.

Fig. 1.

Diese Entfernung der Linse aus dem Auge, die sogenannte Staaroperation, erfordert natürlich große Fertigkeit, wird aber durch verbesserte Operationsverfahren und sicherere Wundbehandlung heutzutage in der bei weitem überwiegenden Mehrzahl der Fälle erfolgreich ausgeführt. Sehr schmerzhaft ist die Operation nicht und gar von Gefährdung des Lebens durch dieselbe kann kaum die Rede sein, Gründe genug, daß die große Scheu vor derselben, wie sie noch vielfach herrscht, ganz unberechtigt erscheint, wenn jene auch an dem edelsten Sinnesorgane. (und gerade weil sie an diesem) gemacht wird. Das Lebensalter ist ebenfalls kein Hinderniß für ihre Ausführung, sobald der Staar nur „reif“, das heißt, wenn die Linse vollkommen trübe ist: sie kann bei kleinen Kindern sowohl, wie bei Hochbejahrten vorgenommen werden, wenn auch bei beiden verschiedene Verfahren eingehalten werden müssen. Das frühere Alter hat sogar den Vorzug, daß die verdunkelte Linse während dieses meist nur durch die Hornhaut hindurch (Fig. 2 m a) einfach angestochen zu werden braucht, worauf sie vermöge der mächtigen Lebensthätigkeit des kindlichen Organismns von selbst aufgesaugt wird und verschwindet. Wenn man also zuweilen in Zeitungen liest, der berühmte Profestor X. habe ein von Geburt aus blindes Kind, im 7. Lebensjahre z. B., so geschickt und schmerzlos operirt, daß es wieder sehe, so ist das durchaus nichts Wunderbares, ja nicht einmal etwas außergewöhnliches: ist doch gerade das dabei geübte einfache und leichte Verfahren schon seit uralter Zeit gebräuchlich gewesen, und bei den alten Indern, Aegyptern, Griechen, Arabern ebenso häufig, wie bei den Neueren durchgeführt worden.

Fig. 2.
a. getrübte Linse.

Nur mit dem Unterschiede, daß diese letzteren gerade in dem Atropin noch ein sicheres Mittel besitzen, die früher dabei vorhandenen Gefahren zu verhüten und abzuwenden. Dagegen im höchsten Alter werden diese letzteren jetzt durch die kürzere Nachbehandlungszeit, welche heute nöthig ist, und durch die technischen und hygieinischen Hülfsmittel, welche die Neuzeit geschaffen hat, bedeutend vermindert.

Wollten wir hier mehr als einige praktische Winke und Erklärungen über Dinge geben, die im Leben heute noch nicht genug bekannt sind oder beachtet werden, so müßten wir noch von den verschiedenen Formen des grauen Staars, dem Rinden-, Kern-, vorderen und hinteren Kapselstaar etc. sprechen; das wäre aber allzu lehrbuchmäßig für diese Stelle! Wir wollen deshalb nur noch die Bemerkung anfügen, daß ein Staarkranker sich nicht, wie es fast immer geschieht, mit einer Untersuchung behufs Feststellung seines Uebels begnügen und dann, wenn es ihm gut dünkt, die Operation in einer Klinik verlangen sollte; vielmehr ist es von wesentlichem Vortheil für den Erfolg der letzteren, wenn der Verlauf des Staares bis dahin stets überwacht wird. Denn es können sehr wohl Erscheinungen zu Tage treten, die besondere und nicht selten schleunige Hülfe nöthig machen, deren Versäumniß sich bitter rächen würde. –

Ein viel räthselhafteres und auch gefährlicheres Leiden, als der graue, ist der sogenannte „grüne Staar“, über den wir einige Worte sagen wollen.

„Dabei sieht wohl das Auge so grün aus, wie ein im Dunkeln leuchtendes Katzenauge?“ fragt, wer den Namen zum ersten Male hört, ganz sicher, und so fragt im Stillen wohl auch mancher Leser.

Nun ist aber bei diesem Uebel von irgend einer grünen Färbung am Auge oder von einem grünen Widerschein aus der Pupille gar keine Spur zu finden!

„Woher stammt denn aber diese sonderbare Bezeichnung?“

Ja, wer das sicher wüßte! Höchst wahrscheinlich ist dieselbe eine schlechte Uebersetzung des technischen Namens „Glaukom“, mit dem die Krankheit bei den Aerzten von jeher benannt ward. Eine sachgemäße Benennung aber giebt es überhaupt noch nicht, weil weder die Natur, noch der Sitz des Uebels in einem bestimmten Augentheil, noch die Ursachen desselben – die Einen glauben als solche eine Entzündung der Aderhaut, die Andern eine Störung durch Nerveneinfluß etc. annehmen zu müssen – genau erkannt und erforscht sind.

Fig. 3.
Vertiefung des Sehnerveneintritts in’s Auge (a) und Verkleinerung der vorderen Augenkammer (b) bei Glaukom. (Im Durchschnitt gesehen.)

Lange Zeit hat man gemeint, daß bei grünem Staar durch eine Ausschwitzung von Flüssigkeit in das Augeninnere der Innendruck, die Spannung desselben einfach vermehrt werde und daß dadurch alle Erscheinungen des Uebels und der schließliche Verlust des Gesichtes bedingt werden. Heute hält man das aber nicht mehr für unumstößlich richtig. Zwar sind in den meisten Fällen vermehrte, der des Steines sich nähernde Härte des im gesunden Zustande bekanntlich elastisch weichen Augapfels und Vertiefung des Sehnerveneintritts im Innern des Auges, sowie Verkleinerung der vorderen Augenkammer (Fig. 3 b) die Haupterscheinungen des Leidens. Diese sind außerdem verbunden mit Trübung des Sehvermögens, großer Schmerzhaftigkeit des Auges und dessen Umgebung, welche besonders des Nachts sich steigert, mit Unempfindlichkeit der sonst so empfindlichen Hornhaut (weiß doch Jedermann, wie weh ein Stäubchen im gesunden Auge thut!), Röthung und Thränenfluß; aber es giebt andererseits auch wieder Fälle, die ganz schleichend und ohne merkliches Härterwerden des Augapfels etc. bis zum verhängnißvollen Ende verlaufen. Doch für den Laien ist nur die „praktische“ Frage wichtig: was habe ich zu thun, wenn ich die eben genannten Erscheinungen an meinem Auge wahrnehme?

Die einfache und einzige Antwort, welche man für solchen Fall zu geben hat, ist die: Er consultire sofort einen tüchtigen Arzt – das sind ist Deutschland zum Glück fast alle! – und bitte ihn, eine gründliche Untersuchung seines Auges vorzunehmen!

Wird durch letztere festgestellt, daß „grüner Staar“ vorhanden ist, so bleibt in den bei weitem häufigsten Fällen die einzige, aber ganz ungefährliche, dazu fast nicht schmerzhafte Hülfe: das Ausschneiden eines Stückchens aus der Regenbogenhaut! – Durch dieses erst von dem berühmten Gräfe in den fünfziger Jahren gefundene Verfahren wird das vorhandene Sehvermögen alsdann erhalten und, wenn es etwa schon geschwächt war, oft genug wieder hergestellt, ohne dasselbe aber geht es unrettbar verloren!

Fig. 4.

Für den Patienten aber erwächst für die Folge aus dieser kleinen Operation fast kein anderer Nachtheil, als der, daß er statt einer runden Pupille eine solche von der Form, wie sie Fig. 4 versinnlicht, fortan besitzt, was doch dem unschätzbar großen Gewinne der Erhaltung des Sehvermögens gegenüber, das früher ohne dieselbe zweifellos verloren gegangen wäre, wahrlich nicht in Betracht kommen kann! Zudem bleibt der größte Theil der ausgeschnittenen Stelle noch durch das obere Lid verdeckt. Wir betonen deshalb nochmals ganz besonders: Ist grüner Staar constatirt, so zögere der Patient nicht einen Tag, die Operation ausführen zu lassen; denn jeder verlorene Tag verschlimmert die Aussichten, jeder gewonnene verbessert sie! Ist doch trotz der Entdeckung eines Arzneimittels, des Eserin, das in einzelnen Fällen nützt, ja heilt, auch heute noch die Gräfesche Operation das einzige sichere Heilmittel des grünen Staars geblieben! –

Für die Krankheitsgruppe, die man im täglichen Leben noch als „schwarzen Staar“ zu benennen pflegt, giebt es dagegen ein derartiges leider nicht! Alles, was in der neueren Augenheilkunde in Bezug auf Behandlung und Heilung desselben gewonnen wurde, ist verhältnißmäßig geringfügig und bleibt unsicher in Bezug auf den Erfolg.

Wir gehrauchten soeben die Bezeichnung „Krankheitsgruppe des schwarzen Staars“ und zwar mit bewußter Absicht. Denn [95] eine einheitliche oder, besser gesagt eine einzige Augenkrankheit, die man „schwarzen Staar“ ansprechen könnte, giebt es in der heutigen Krankheitslehre nicht mehr. Das, was man früher auch in den Lehrbüchern so benannte, hat sich nämlich mit Hülfe der neueren Untersuchungsmittel, zumal des Augenspiegels, schon beim Lebenden in eine recht stattliche Zahl von besonderen Krankheiten aufgelöst, sodaß die ärztliche Wissenschaft eigentlich gar nicht mehr vom „schwarzen Staar“ sprechen darf, sondern nur von ganz bestimmten Erkrankungen einzelner Theile des inneren Auges, welche das Bild desselben, falls ihrem Verlaufe kein Einhalt geboten wird oder geboten werden kann, in ihren Endstadien zuwege bringen. Einige derselben wollen wir nun im Folgenden besprechen und auch, soweit dies ohne Zuhülfenahme von Farben einigermaßen befriedigend geschehen kann, abbilden.

Die Organe, deren zahlreiche Krankheiten man als „schwarzen Staar“ früher zusammenfaßte, sind vorzugsweise der Sehnerv, die Netzhaut und die Aderhaut.[1]

Fig. 5.
Schwund des Sehnerven.
(Augenspiegelbild.)

Am häufigsten führt die Entzündung des Sehnerven zu solchem, wenn sie in Abzehrung übergeht; doch kann die letztere auch ohne vorhergegangene Entzündung sich entwickeln, zumal in Folge von Gehirn- und Rückenmarks-Erkrankungen, deren erste Erscheinung sie sogar nicht selten bildet. Durch die Abzehrung der Wurzel des Sehvermögeus geht dieses dann meistens rasch zu Grunde, wenn nicht durch den Gebrauch entzündungswidriger Mittel oder Anwendung von Strychnineinspritzungen in die Umgebung des Auges oder durch den elektrischen Strom dem traurlgen Leiden Stillstand geboten werden kann, was immerhin manchmal der Fall ist. Unerläßlich ist aber, soll die Aussicht auf Erfolg nicht alsbald ganz trügerisch werden, daß sehr früh die nöthigen Gegenmaßregeln ergriffen werden. In der Regel zögern derartige Kranke aber zu lange! Bei der Untersuchung mit dem Augenspiegel (vergl. den Artikel darüber in Nr. 7 1883) zeigt sich ein Bild, wie Fig. 5 es andeutet, wobei besonders die schneeweiße (seltener graue oder grünliche Farbe des im gesunden Zustande rosa gefärbten Sehnerven ein Hauptmerkmal bildet; mit dieser Entfärbung ist eine Vertiefung (Fig. 6 b) der regelrecht etwas gewölbten (vergl. die punktirte Linie a Fig. 6) Sehnerveneintrittsstelle verbunden!

Fig. 6.

Stellt die Abzehrung des Sehnerven meist ein zuerst im späteren Alter auftretendes erworbenes Leiden dar, so bildet dagegen eine andere Form des sogenannten schwarzen Staars, die von den Laien als „angeborene Nachtblindheit“ bezeichnet wird, weil die betreffenden Kranken anfänglich blos in der Dämmerung und im Halbdunkel der Nacht schlecht sehen, ein angeborenes Uebel. Es ist in sehr vielen Fällen eine Folge von Ehen unter nahen Verwandten und trifft nicht selten mehrere Glieder einer und derselben Familie. Bei dieser verhängnißvollen Krankheit bietet jedoch wenigstens der eine Umstand einigen Trost, daß sie., obwohl von Geburt an zunehmend, doch nur sehr langsam fortschreitet, sodaß das traurige Ende meist erst in den dreißiger, ja vierziger Jahren des Lebens zu befürchten ist. Das Augenspiegelbild derselben aber (Fig. 7) ist ein so überraschend charakteristisches, daß es gar nicht verkannt werden kann. Und selbst dieses verhängnißvolle Erbtheil aus unbedacht geschlossenen, bekanntlich auch noch andere Leiden mit sich bringenden Verwandtschaftsehen läßt noch in manchen Fällen eine zeitweise Besserung oder doch einen Stillstand durch zweckentsprechende Maßregeln zu!

Fig. 7.
Angeborene Nachtblindheit.
(Augenspiegelbild.)

Viel erfolgreicher ist freilich wieder das ärztliche Handeln bei einer anderen Krankheitsform, der einfachen Entzündung der Ader- und Netzhaut; auch sie wird gewöhnlich zum sogenannten schwarzen Staar, da die damit Behafteten – leider muß dies gesagt werden! – in der Regel zu spät nach Rath gehen, wenn schon große Zerstörungen im Auge angerichtet sind, und weil sie dazu selbst dann noch nicht die gehörige Ausdauer besitzen, sondern einfach, wie bei so vielen Krankheiten überhaupt, vom Arzte – Wundercuren verlangen, die doch selbst der Geschickteste nicht vollbringen kann! Es ist überhaupt auffallend, ja fast unerklärlich, wie oft bei Krankheiten gerade des Auges der rechte Zeitpunkt zur Aufsuchung ärztlicher Hülfe versäumt wird: in dieser Beziehung kann man getrost sagen, daß viele, selbst „gebildete“ Patienten eher eines schlimmen Fingers halber, deren doch Jedermann zehn hat, sich umthun, als eines innerlich erkrankten Auges wegen, deren doch nur zwei zu verlieren sind!

Und selbst stark Kurzsichtige begehen diesen Fehler häufig genug – hauptsächlich deshalb, weil man ja fast allgemein gerade die Kurzsichtigkeit noch eher für eine Zierde der „Gelehrten“, die sie nicht, als für eine Krankheit des Auges hält, die sie doch wahrlich ist! Es tritt dies besonders schwer in’s Bewußtsein, wenn einmal, wie die Formel lautet, schwarzer Staar zu derselben hinzukommt! Dieser schwarze Staar ist dann aber meist nichts Anderes, als die traurige Endfolge einer Kurzsichtigkeit, die nicht wie eine Krankheit vorher betrachtet wurde: er beruht auf allmähliger Netzhautablösung (Fig. 8), bei der die Netzhaut von ihrer Unterlage sich getrennt hat und im Innern des Auges bei Bewegungen desselben lose herumschlottert, wie ein vom Winde bewegtes Spinngewebe! Die Patienten haben denn auch wirklich das Gefühl, als müßten und könnten sie die „Wolke vor ihrem Sehen“ wegwischen! Leider können sie das aber nicht, ja noch mehr, ihnen ist dann nicht mehr zu helfen, während doch durch zweckmäßige frühe Schonung und Behandlung ihrer Augen dieser „schwarze Staar“ hätte meist verhütet werden können! Arme, leichtsinnige Kurzsichtige!

Fig. 8.
Ablösung der Netzhaut im oberen Abschnitte derselben. Der Ring bei d ist eine Veränderung, wie man sie bei Kurzsichtigen fast immer findet.
(Augenspiegelbild.)

Zum Schlusse dieser unserer den Gegenstand durchaus nicht erschöpfenden Darlegungen über den „schwarzen Staar“ wollen wir noch eine kurze Krankengeschichte anführen, die geeignet ist, das Bild des gefürchteten Leidens durch einen Zufall zu erläutern, den der Laie kaum als Grundlage eines solchen vermuthet.

Einst kam ein Maurer in die Sprechstunde, ein kräftiger, breitschulteriger Mann, der nie im Leben über etwas anderes zu klagen hatte, als zeitweiliges Herzklopfen nach großen Anstrengungen. Nun hatte er den Tag vorher wieder einmal eine solche gehabt; er hätte allein einen mehrere Centner schweren [96] Stein gehoben. Diesmal war es aber nicht beim einfachen Herzklopfen geblieben, vielmehr bemerkte der Bedauernswerthe, nachdem er sich aus der gebückten Stellung, die er dabei eingenommen, erhoben hatte, daß er – auf einem Auge nichts mehr, „aber auch gar nichts mehr“ sah! Er meinte, er habe plötzlich den „schwarzen Maar auf das Auge“ bekommen, da man ja an dem Auge äußerlich gar nichts wahrnehmen könne. – Den „schwarzen Staar“ im alten Sinne hatte er nun freilich nicht, aber eine mächtige Blutung in der Gegend des sogenannten gelben Fleckes, an der Stelle des genauen Sehens innerhalb des Auges, die zwar als solche im Laufe der Zeit wieder aufgesaugt ward, aber dennoch eine unheilbare Zertrümmerung der Netzhaut an dieser wichtigsten Stelle bewirkt hatte! Also auch Blutungen in’s Innere des Auges können zu dem Krankheitsbilde des schwarzen Staars führen! –

Hoffentlich hat der Leser aus der vorausgegangenen kurzen Darstellung die Ueberzeugung gewonnen, daß alle Staarformen (unter gewissen Voraussetzungen und Einschränkungen manchmal selbst der gefürchtetste, der schwarze) einer wirksamen Behandlung oder (noch besser) einer Vorbeugung zugänglich sind!

Ist dies der Fall, so glauben wir diese Zeilen nicht umsonst geschrieben zu haben – zum Troste, nicht zum Schrecken vieler Augenkranken!



  1. Zur Orientirung über den Bau des Auges dienen Fig. 1 und 2 und deren Erläuterung in meinem Auffatze in Nr. 7 der „Gartenlaube“ des Jahrgangs 1883. Wir bitten den Leser, damit Wiederholungen vermieden werden können, gefälligst beide nochmals anzusehen.