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Titel: Spatz und Stahr
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aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 495-496
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[495] Spatz und Stahr. Die Fenster meiner Stube lagen nach einem Gemüse- und Grasgarten zu. Dort war an einem Giebel der höheren Obstbäume ein Stahrenkasten angebracht, der auch alljährlich von einem Stahrenpaar als Sommerwohnung bezogen wurde. Der Frühling war diesmal zeitiger als sonst in’s Land gezogen. Musje Spatz, der immer auf dem Zeuge ist, hatte daher auch mit Frau Spätzin eher, als gewöhnlich, zum Neste getragen, und da er sich bekanntlich über Mein und Dein keine allzu großen Scrupel macht, so hatte er hierzu eine Wohnung ausgewählt, auf die er nichts weniger als einen Anspruch zu machen hatte: den Stahrenkasten.

Behaglich und aufgeblasen wie ein Rentier, der über Nacht reich geworden, saß er beim warmen Sonnenschein auf dem Stängelchen unterhalb des runden Eingangslochs, sein eintöniges Lied zirpend. Das Nestchen war fertig und wartete nur noch der Eier, die Frau Spätzin hinein legen sollte; da kam unerwartet ein Störenfried an, in der Person eines glanzbefiederten Herrn Stahrmatz, der die bequeme Wohnung zu einer zeitweiligen Niederlassung ebenfalls sehr passend finden mochte. Trotz der Ueberlegenheit des Gegners in Größe und langer spitzer Waffe suchte doch der Spatz diesem den Eingang zu wehren. Mit aufgestrupptem Gefieder setzte er sich dicht vor dem Loche in Positur, und während er zugleich seinen Schlachtgesang ertönen ließ, erwartete er den Angriff des Feindes. Dieser ließ nicht lange auf sich warten, ein heftiger Kampf entspann sich. Mit Schnäbeln und Flügeln wurde wacker gekämpft, während die Spätzin auf den nächsten Zweigen kreischend umher hüpfte, dem Gatten wahrscheinlich Muth und Ausdauer zurufend. Dieser schlug auch, wider alles Erwarten, jeden Angriff mit einer wahren Todesverachtung und einer solchen Gewandtheit ab, daß endlich der Stahr, ermüdet und etwas zerzaust, mit ziemlicher Eile seinen Rückzug nahm und vorerst nichts wieder von sich sehen ließ. Ein Siegesgeschrei der beiden Gatten begleitete den Abziehenden. Beide setzten sich nun auf das Stängelchen, wo sie sich bei allerlei lebendigen Bewegungen gewaltig viel zu erzählen hatten; dann suchte Herr Spatz seine etwas derangirte Toilette wieder in Ordnung zu bringen, wobei auch die dienstfertige Gattin sich behülflich zeigte.

Einige Tage später stand ich wieder am Fenster und wurde hier Zeuge einer andern Scene. Wieder saß das Spatzenpaar recht gemüthlich auf seinem Stängelchen, als sich Stahrmatz abermals zeigte. Nochmals entspann sich ein Kampf auf Leben und Tod, der aber jetzt von Seiten des Stahrs energischer geführt wurde, so daß der Spatz, nach der verzweifeltsten Gegenwehr, endlich genöthigt wurde, den Platz zu räumen. Zu den Klagetönen der Spatzin gesellte sich das Zorngeschrei des Gatten; aber den Sieger kümmerte das nicht, er nahm Besitz vom Innern und fing auch gleich an auszuräumen. Stroh, Haare, Hadern und anderes mühsam zusammengeschleppte, Alles wurde, und zwar etwas hastig, zum Loche heraus geschleudert. Der Spatz suchte, als guter Wirth, zu retten, was aus dem Schiffbruch zu retten war. Er schoß von seinem Zweige Herunter, und ehe ein Haar- oder Federbündel zur Erde kam, erhaschte er es mit außerordentlicher Geschicklichkeit und brachte es sofort unter den Dachsparren eines Hinterhauses in Sicherheit. Schließlich holte er auch noch das, was bereits zu Boden gefallen war. Jetzt spielte der Sieger den Behaglichen. Er setzte sich, nachdem er das Zerstörungswerk vollbracht, außen auf das Stängelchen, hielt Rundschau und ließ sich von der warmen Sonne bescheinen. An der ganzen Sicherheit seines Benehmens mußte man gewahren, daß er sich in seinem vollkommenen Rechte wußte. Er war jedenfalls der eigentliche mehrjährige Besitzer dieser Wohnung, während der vorher Abgeschlagene vermuthlich einer der Söhne war, die hier das Licht der Welt erblickt. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte ich jetzt die Ehre, Herrn Stahrmatz senior vor mir zu sehen.

Das Spatzenpaar war währenddem verschwunden, längere Zeit ließ es nichts von sich hören und sehen; aber Plötzlich rückte ein ganzes Corps seines Gelichters, wohl an die dreißig, vor. Der Unterlegene hatte jedenfalls von anderwärts Succurs herbeigeholt. Mit solch einer respectabeln Macht hinter sich, war er jetzt wieder der Tollkühne, adlermuthig warf er sich auf den verhaßten Feind, der bisher die lärmenden Ankömmlinge gar nicht beachtet zu haben schien. Aber der Spatz kam abermals schief an, der Stahr parirte den Stoß so gewaltig, daß der Angreifer taumelnd flatternd fast bis zur Erde sank. Eine wiederholte Attake hatte keinen besseren Erfolg. Der Succurs hielt sich dabei in respectvoller Entfernung, machte aber dafür ein um so gewaltigeres Geschrei. Als der Kämpe sah, daß er so schmählich im Stiche gelassen wurde, gab er weitere Versuche auf und begnügte sich nun damit, auf einem der untersten Aeste des Baumes, auf dem er vor Kurzem noch Herr gewesen, bescheiden Platz zu nehmen, da seinen Unmuth zu verschnauben und den Gegner zu beobachten. Der Stahr ließ ihn großmüthig gewähren. Nachdem das Spatzencorps noch eine Weile geschwatzt und raisonnirt hatte, zerstreute es sich allmählich wieder.

Der Stahr begann nun seine häuslichen Einrichtungen zu treffen. Geschäftig und dabei höchst spaßig maß er mit aufgesperrtem Schnabel von außen die Dimensionen, und als er diese richtig oder vielmehr noch die alten fand, flog er ab, kehrte aber bald darauf mit seiner Frau Liebsten wieder zurück. Er schien ihr sehr wohlbefriedigt die wiedergefundene Wohnung zu zeigen, und nachdem Beide, von Ast zu Ast hüpfend, auch die Umgebung gemustert, strichen sie wieder ab. Der Stahr kehrte bald wieder zurück, in seinem spitzen Schnabel ein Bündel Utensilien zum Neste tragend. Eine Weile arbeitete er im Kasten und entfernte sich dann wieder. Der Spatz hatte bisher ruhig und anscheinend indolent unten auf seinem Aste gesessen, aber er hatte unter dieser Maske auf Rache gesonnen und erwartete hierzu den geeigneten Moment. Kaum war der Stahr weg, so schoß er wie ein Pfeil in den Kasten, holte das eben Eingetragene heraus, [496] schleppte es zu seinem Neste und nahm dann aus seinem früheren Standpunkte wieder Posto, so gelassen, als wenn er kein Wässerchen getrübt hätte. Der rückkehrende Stahr mochte nicht wenig über das Verschwinden seines eben Eingebrachten erstaunt sein, denn kaum war er mit der zweiten Tracht in’s Loch geschlüpft, so erschien er auch wieder auf der Stange, das eben Mitgebrachte noch im Schnabel haltend. Er drehte den Kopf mit langem Halse höchst verwundert nach allen Seiten, recognoscirte dann von außen den Kasten und die nächste Umgebung, und als er hier noch Alles in der alten Ordnung gefunden, brachte er endlich die zweite Tracht ein, hielt dann auf dem Stängelchen noch eine Weile Umschau und strich endlich wieder ab. Der Spatz wollte sofort sein früheres Manöver wiederholen, aber jetzt kam er übel an. Der Stahr, der sich wahrscheinlich auf die Lauer gestellt, kehrte eilends zurück. Er ertappte den Dieb auf der That und nahm nun furchtbare Revanche. Der Spatz, der unter den Dachsparren retirirt war, wurde, trotz alles Schreiens und Lamentirens, bald aus seinem Schlupfwinkel getrieben, und unbarmherzig zerzauste nun der Stahr Alles, was er an Hausrath vorfand, während das in anständiger Ferne umherhüpfende Spatzenpaar ein wahres Zetergeschrei aufschlug; allein das störte weder den Stahr, noch kam eine Hülfe.

Von da an durfte sich kein Spatz mehr in der Umgebung des Stahrkastens sehen lassen, und erst im Herbst, nachdem die Stahre wärmeren Gefilden zugezogen, vernahm man wieder in Hof und Garten das monotone Gezirp.