Spargelgrün
[323] Spargelgrün. Die meisten Liebhaber des Spargels kümmern sich wenig um die Pflanze, die uns die saftigen Stangen liefert, und doch ist dieselbe in mancher Hinsicht interessant und eigenartig. Ist nicht das Spargellaub wunderbar gestaltet? So fein und zierlich, daß es den duftigsten Schmuck eines Blumenstraußes abzugeben vermag! Und dieses Spargellaub ist der eigentliche Schöpfer der „Stangen“, die wir genießen. Während des Sommers schießt es hoch und buschig empor, arbeitet im Sonnenlicht, erzeugt eine Fülle Materials, auch das dem Spargel seinen Wohlgeschmack verleihende Asparagin, und die Pflanze führt das Ergebnis dieser unermüdlichen Arbeit seines Laubes zu dem weitverzweigte kriechenden Wurzelstocke und nährt mit ihm im nächsten Frühling die schönen Spargelsprossen.
Das Spargelgrün arbeitet just wie alle anderen Pflanzenblätter, aber
das zierliche Gebilde ist kein Blatt. Die Blätter des Spargels sehen ganz
anders aus. Die kleinen rötlichen Schuppen an den eßbaren Stangen
sind die einzigen wahren Blätter, welche die Pflanze hervorbringt, und
die vielfach verästelten grünen Fäden des zierlichen Laubwerkes sind lauter
Blütenstiele. Nur einige wenige von ihnen tragen kleine gelblichgrüne
Glockenblumen, aus denen später die glänzend roten Beeren hervorgehen,
die meisten sind fehlgeschlagen – bleiben nur Blütenstiele, die aber
durchaus nicht zwecklos sind, sondern die Stelle der Blätter vertreten und
wie diese arbeiten. Was hat wohl den Spargel veranlaßt, solche Launen zu
entfalten? Forschen wir ein wenig in seiner Entwicklungsgeschichte, die
weiter als die geschriebene Geschichte der Menschheit zurückreicht. Dieses
Küchengewächs gehört zu der lieblichen und poetisch verklärten Gruppe
der Lilienpflanzen und hatte wohl früher gleich diesen lange, dünne und
saftige Blätter. Der Boden, auf dem es wuchs, und der Himmel, unter
dem es blühte, veränderten sich mit der Zeit. Die Regen in jener Gegend
wurden seltener und der sumpfige Grund verwandelte sich in trockenen Boden.
Da rangen die Lilienpflanzen gegen diese Unbill der Natur und die
meisten von ihnen gingen ein; eine aber wußte sich dem trockenen Standort,
auf dem sie nunmehr angewiesen war, anzupassen. Sie warf ihre
Blätter ab und erzeugte dafür eine Menge grüner Zweige und harter
Blätterstiele, welche der Dürre besser trotzen konnten. Sie behauptete sich
durch diese Aenderung, aber die Lilie hatte sich in den Spargel verwandelt.
Fremdartig steht der Spargel unter den anderen grünen Pflanzen
unserer Flora, auf unserem heimischen Boden das seltene Beispiel einer
blattlosen Pflanze, deren Zweige die Arbeit der Blätter übernommen
haben und dem unkundigen Blicke als Spargellaub, als wunderbar gefiedertes
Blatt erscheinen. *