Sonntagmorgen
[339] Sonntagmorgen. (Mit Illustration S. 332.) Ehedem war es nicht blos auf dem Lande, sondern auch in den Städten oder wenigstens den kleineren städtischen Ortschaften schöne Sitte, daß Frauen und Mädchen sich an Sonn- und Festtagen für den Gang zur Kirche einen gewöhnlich nur aus wenigen Blumen bestehenden Strauß pflückten, der gleichsam als Schmuck des Gesangbuchs getragen wurde. Auf dem Lande hat diese Sitte sich in vielen Gegenden Deutschlands erhalten. Die Blumen wählt man, wie die Jahreszeit sie bietet. Hauptsächlich pflegt man dazu die kleinen Blumengärten vor vielen Bauernhäusern, und wo der Garten fehlt, stehen sicherlich auf einem Blumenbrett die Töpfe voll sorglich gehüteter Blüthen- und Blattpflanzen für den Kirchgang zu Gebote. Das fromme und heitere Landmädchen, das unser Künstler uns vorführt, lebt für uns in der wonnigen Maienzeit, ein Maiglockensträußchen ist der Schmuck ihres Gesangbuchs. Frühling und Jugend grüßen uns so anmuthend aus diesem Bilde, daß wir’s nicht ansehen können, ohne eine Sonntagsregung, vielleicht sogar eine mit Wehmuth gemischte, wenn die Jugend gar zu weit hinter dem Beschauer liegt, im Herzen zu spüren.