Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Skizzen aus St. Petersburg
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 55. S. 217–218.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[217]

Skizzen aus St. Petersburg[1].


Auf die Beobachtung der Vorschriften für Zucht und Ordnung im Militär wird mit großer Strenge gewacht. Diese Strenge erstreckt sich auf die Kleidung der Offiziere; keiner darf auf Maskenbällen sich maskiren, ja nie öffentlich anders als in Uniform erscheinen.

Der Kaiser Alexander befolgte selbst auf das Genaueste diese Vorschriften der Disciplin, und duldete bei Andern nicht die unbedeutendste Uebertretung derselben. Eines Tages bemerkte er, daß bei einem Offizier vom Generalstab der Garde, der ein naher Verwandter des Fürsten Galitzin war, die Ecken seines Hemdekragens über die Halsbinde hervorragten; während nun der Monarch mit ihm sprach, sah man, daß die Majestät mit eigener Hand diese Ecken unter die Binde schob. – In jeder, selbst der rauhesten Jahreszeit[2] wohnte Alexander Morgens der Parade bei, indem er in einfacher Uniform gekleidet war, und dadurch jeden Offizier zwang, sich ebenfalls nicht wärmer zu kleiden. Nach der Parade ging er gewöhnlich zu Fuß aus, wo denn die Offiziere auf ihrer Hut seyn mußten, um nicht vom Kaiser bei irgend einem Versehen überrascht zu werden.

Alexander besaß nicht jene kriegerischen Eigenschaften, welche die Soldaten zur Begeisterung für den Feldherrn hinreißen; gleichwohl verstand er die Kunst, sich bei ihnen beliebt zu machen. Der nachfolgende Zug beweist, daß er nichts vernachläßigte, seine Popularität bei der Armee zu vergrößern.

Nach dem Feldzuge in Frankreich ließ der russische Senat, dem Kaiser zu Ehren, bei dem berühmten Lustschlosse von Tzarskoie-Selo einen Triumphbogen, durchaus von Bronce, errichten. Alexander behielt sich vor, die Inschrift selbst anzugeben. Nach der Rückkehr nach Rußland las die kaiserliche Garde, als sie durch Tzarskoje-Selo marschirte, und sich dem Siegesdenkmale nahte, folgende mit goldenen Buchstaben unter dem Fries angebrachte Inschrift: „Meinen lieben Waffenbrüdern.“

Alexander gefiel sich darin, in einfachem Militär-Ueberrocke durch die Straßen der Hauptstadt zu gehen. Oft wenn er einem Fremden begegnete, blieb er stehen, und sprach mit ihm, wobei denn seine Fertigkeit in mehreren Sprachen, es ihm leicht machte, seine Neugierde zu befriedigen. – So war es auch nicht selten, daß man ihn Abends in Privatgesellschaften traf, die er ohne allen Zwang besuchte. Einfach ohne Ziererei, artig gegen jedermann, und an der Unterhaltung wie an dem Vergnügen der Gesellschaft theilnehmend, bewies er hier, daß der mächtigste Mann des Reiches zugleich der gefälligste und liebenswürdigste war.

Der Militärstand übt in Rußland ein großes Uebergewicht aus, und genießt großer Vorrechte; daher ist die Scheidungslinie zwischen ihm und dem Kaufmannstande merklicher als in irgend einem andern europäischen Lande. Die Abneigung dieser beiden Klassen gegeneinander ist so groß, daß man selten an demselben Tische, oder in derselben Gesellschaft Militärpersonen und Kaufleute findet.[3]

Wie groß auch der Eifer ist, mit welchem sich die höheren Classen in die militärische Laufbahn werfen, so findet man doch unter ihnen Männer, welche die allgemeine Vorliebe für diesen Stand keineswegs theilen. Eines Tages unterhielt man sich in einer Gesellschaft von der Schönheit einer Heerschau, die der Kaiser angestellt hatte. „Alles dieses bedeutet nichts,“ sagte ein Herr, der unfern dem Ofen stand, und den Kopf mit republikanischem Stolz in die Höhe richtete; „sprecht mir lieber von einer Volksversammlung.“ Darauf erinnerte er an die englischen Wahlen, die gerade damals geendet waren, und fuhr fort; „Wie sehr beneide ich das Loos des Sir Francis Burdett, dem dreißtausend Bürger folgen. Dies allein nenne ich eine schöne Parade!“

[218] Die russischen Fasten, deren es nicht weniger als vier im Jahre gibt, legen den Gläubigen weit strengere Entbehrungen auf, als die katholischen; gleichwohl findet man, selbst unter den aufgeklärten Ständen, schwerlich Personen, die sich’s erlauben, sie zu umgehen. In dieser Beziehung kann man nicht sagen, daß Rußland viele sogenannte starke Geister besitze. Das Volk, das übrigens gegen andere Gottesdienste sehr tolerant ist, treibt den Eifer bis zum Aberglauben; keines ist so verschwenderisch mit Verbeugungen, Zeichen des Kreuzes etc.; und diese äußeren Handlungen der Frömmigkeit werden nicht blos von den niedern Classen geübt: ich sah am hellen Tage in der Kirche von Kasan, wie der Vater des Fürsten Wolkonsky sein Sacktuch gegen die Heiligenbilder an der Wand warf, es dann küßte, und wieder gegen die Mauer warf, und diese erbauliche Ceremonie so lange fortsetzte, bis seine Kräfte erschöpft waren.

Nach vierzig Tagen der strengsten Enthaltsamkeit folgen schnell auf einander die öffentlichen Feste; Ostern macht den Anfang, und ist eins der merkwürdigsten.

Mit dem Schlag zwölf um Mitternacht verkündigt ein Kanonenschuß von der Citadelle den Anfang des Festes. „Christus ist auferstanden,“ ruft man überall, indem man sich zugleich umarmt. Und vom Monarchen bis zum letzten Soldaten, vom hochadelichen Herrn bis zum niedrigsten Leibeignen, ist jeder verpflichtet jede Beleidigung zu vergessen und zu vergeben. Im Augenblick wo die Kanonen donnern, erscheinen im vollen Staate, die Großfürsten, die hohen Staatsbeamten, die Hofoffiziere, und alle, die einen hohen Rang haben, vor dem Kaiser und der Kaiserinn, welche, ohne von der Stelle zu weichen, den Bruderkuß von dem ganzen Gefolge empfangen.

In der Osternacht ging ich in Petersburg, der Volksmenge folgend, in die Kirche unserer lieben Frau von Kasan, die bereits von unzählbaren Gläubigen angefüllt war. Mit Hülfe einiger Stöße mit dem Ellenbogen, welchen Gebrauch ich in London erlernt hatte, gelang es mir, bis in die Mitte der Kirche zu kommen. Als endlich der Gesang, das Läuten der Glocken und die Kanonenschüsse das Ende der Ceremonie angekündigt hatten, war ich nicht wenig überrascht, als ich sah, wie Männer und Frauen, nach vielen Glückwünschen, sich untereinander auf den Fußboden der Kirche[4] niedersetzten, und einen Kreis um kalte Pasteten bildeten, die sie mit dem größten Appetit verzehrten.

Geht man aus der Kirche, so streift man sodann, bis es Tag wird, durdh die hell erleuchteten Straßen der Hauptstadt; man redet sich an, wünscht einander Glück und bietet zum Geschenk gefärbte Eier an; man umarmt sich mit den Worten: „Er ist auferstanden!“ So dauert das Fest bis zur folgenden Nacht. In der guten Gesellschaft ist es Gebrauch, den Damen die man kennt, Eier von Porzellan oder Kristall, mit Bändern verziert, zu überreichen. Indem die Dame das Geschenk und den Gruß annimmt, reicht sie ihre Hand zum Kusse und drückt selbst treuherzig ihre Lippen auf die Wange des Herrn, der ihr die Gabe überreicht.

Einige Wochen nach Ostern ist die Strenge des Winters noch immer fühlbar; im Monat Mai aber tritt ein so plötzlicher Wechsel der Temperatur ein, daß in weniger als 14 Tagen die Newa schiffbar wird. Kaum ist die Erde von dem verhärteten Schee, der sie so lange bedeckte, befreit, so schmückt sie sich mit dem schönsten Grün, und die Bäume treten in Blüthe. Die Stadt wird leer, weil Alles aufs Land geht. Sey es wegen des schnellen Uebergangs von einer Jahreszeit zur andern, oder weil die Russen die vier Monate ihrer schönen Zeit eifriger benützen – nicht zu läugnen ist, daß in keinem anderen Lande in Europa der Frühling ein so reizendes lachendes Ansehen hat, als in der Umgebung der russischen Hauptstadt.

  1. Mémoires de Don Juan van Halen. T. II. Paris 1827.
  2. In einem großen, viereckigen, bedeckten Gebäude wird in Petersburg das Garde-Bataillon, das gerade den Dienst hat, zur Zeit des Winters exerzirt, und findet hinreichend Raum für seine Manövers. Alexander begab sich jeden Morgen zu Pferde dahin, gefolgt von seinem Generalstabe und von einer Cavalerie-Abtheilung. Dieses Gebäude, das nur einen unermeßlichen Saal bildet, ist vorzüglich dadurch merkwürdig, daß die Decke nicht auf Säulen ruht. Moskau besitzt einen ähnlichen noch größeren Saal, der nach dem Plane und unter Leitung des General Batancourt erbaut wurde.
  3. In Petersburg und Moskau gibt es sehr reiche Kaufleute, die zu dem Stande der Leibeignen gehören; diese leben natürlich abgesondert vom Militär. In den Ostseeprovinzen dagegen, und überall wo deutsche, englische oder französische Kaufleute getroffen werden, leben sie in den freundlichsten Verhältnissen mit dem Militärstande.
    A. d. Red.
  4. In den griechischen Kirchen findet man weder Bänke noch Stühle; jeder ist verbunden, seine Andacht stehend zu verrichten; selbst der Kaiser hat nicht das Vorrecht sich zu setzen. Alle Instrumental-Musik ist aus den Tempeln verbannt; die harmonischen Stimmen der Sänger aber erheben das Gemüth, und bereiten es zu der religiösen Sammlung der Gefühle und Gedanken vor.