Textdaten
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Autor: A. Schl.
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Titel: Sie hat keine Kinder
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 207–208
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[207] Sie hat keine Kinder. Ein Polizeibeamter, der unserm Blatte noch mehrere interessante Skizzen aus seinen reichen Amterfahrungen zugedacht hat, schreibt uns: Zwei junge Bürgersfrauen von durchaus rechtschaffener Art, geehrt in ihren Kreisen und Jahre lang in treuester Freundschaft und liebevollster Nachbarschaft mit einander lebend, wurden mir zugeführt; sie hatten sich auf offener Straße heftig gezankt, geschimpft, geprügelt. Rasch vernahm ich die nächsten Zeugen, dann ließ ich die Frauen allein zu mir eintreten, und während ich ihnen Zeit gab, sich in ihrer großen Aufregung, Scham und Verlegenheit etwas zu beruhigen, auch ihre zerzausten Kleider wieder in Ordnung zu bringen, hatte ich Gelegenheit, sie zu beobachten. Die junge Frau des Tischlermeisters Mäder war eine kleine, pralle Frau mit lebhaft funkelnden braunen Augen, kleinem, vorwitzigem Näschen, rosarothem Munde mit schneeweißen Zähnen und mit rundem, gesundem Gesichte. Trotz des jetzt derangirten Anzugs sah man, daß sie sonst adrett und proper gekleidet war und darauf etwas hielt, und ich entsann mich jetzt auch, daß sie mir oft den Eindruck einer netten, sanguinisch gutmüthigen, lebhaft umherquirlenden Frau gemacht hatte.

Die Frau des Tuchmachers Saalmann war ganz anders: hoch und stark an Gestalt, das Gesicht lang, knochig und farblos. Die Augen groß und graublau, die Nase stark und fest, der Mund breit und geschlossen. Der Anzug zwar auch sauber und ordentlich, doch nicht zeigend, daß sie besonders viel darauf hielte, und schon mehr die arbeitsame Hausfrau und oft bedrängte Mutter verrathend. Auch ihrer entsann ich mich jetzt recht wohl: sie hatte für mich stets etwas ruhig Geschlossenes, schweigsam Festes und doch auch noch ein gewisses Etwas gehabt, was mir jene tiefinnere Leidenschaftlichkeit andeutete, die man häufig bei so zugeknöpften Naturen antrifft und die gerade bei ihnen oft um so gefährlicher werden kann. Die Leute sich zunächst gehörig aussprechen, auch wohl austoben zu lassen, ohne viel zu fragen und zu hemmen, das war mein Erfahrungsgrundsatz. Ich wendete ihn auch hier an. Die scheinbar am meisten gravirte Frau Saalmann ließ ich zuerst sprechen. Sie hatte ihrer Gegnerin den ersten Schlag versetzt. Sie war indessen kurz angebunden und stand schon wieder ziemlich fest und ruhig vor mir, wenn es auch innen noch sichtbar brannte und ihre Augen mit dem Ausdruck des Hasses auf die Feindin gerichtet waren.

„Haben Sie wirklich die Frau Mäder zuerst geschlagen?“ fragte ich.

Sie antwortete mit trotziger Ruhe: „Ja, und das mußte ich thun, denn sie hat mein Kind gerupft und gestoßen.“

„Ist das wahr, Frau Mäder?“

Frau Mäder hatte schon unruhig darauf gewartet, ihrer Zunge freien Lauf lassen zu können; sie hatte schon mit den kleinen Füßchen gewippt, die kleinen, runden, fetten Händchen ineinandergeschlagen und aneinandergerieben und mit dem drallen Leibe hin- und hergequirlt. Jetzt fiel sie rasch ein: „Ja, Herr Amtmann! Ich hab’s gethan. Ja, aber ich konnt’ nicht anders, ich mußt’ es thun, es ging mir zu sehr gegen das Gemüth und gegen die Ehr’ und gegen Alles.“

[208] „Gegen die Ehre?!“ fragte ich erstaunt.

„Ja, gerad’, und das ist nämlich so – wenn der Herr Amtmann verzeihn, daß ich ein bischen weit ausholen darf.“

„Sprechen Sie nur zu, Frau Mäder. Alles, was Sie zu sagen haben.“

„Ich dank’ Ihnen, Herr Amtmann, und ich will’s Ihnen kurz machen. Die Frau da und ich waren sehr gut freund miteinander und gingen zusammen in die Schul’ und in die Religion und wir hatten auch gleichzeitig die Hochzeit. Ich kriegte kein Kind und das war mir dererst auch ganz recht; ich weiß selber nicht, warum. Die Frau da aber kriegte ein Kind und ich stand ihr rechtschaffen bei und war gut mit dem Liebchen. Darnach aber hänselte sie mich, daß ich kein’s hätt’, und die anderen Frauen zogen mich auch damit auf, und da fing es schon mich zu krepschen an, daß ich keins hatt’; aber ich ließ mir’s nicht merken und that nun erst recht froh drum. Nun wurd’ der Wurm immer hübscher und die Frau da immer stolzer darauf, und hat sich gar sehr bethan damit und mich immer wieder gehänselt. Da wurd’ ich inwendig so wüthig und es ging mir schon gegen die Ehr’, daß ich kein’s hatt’, und ich hab’ bitterlich geweint. Und dann hab’ ich mich wieder gar sehr verstellt, und that heidenfroh, daß ich so los’ und ledig wär’, und that, als wenn ich überhaupt die Kinder nicht ausstehen möcht’. Aber wo ich nur eins erwischen konnte, ohne daß Jemand es estimirte, hab’ ich’s gedrückt und abgeschmatzt, und das Kind von der Frau da hatte ich absonderlich lieb. Darnach aber kriegt’ ich eine erschreckliche Wuth auf das Kind, weil die Frau da mir es immer und immer gar so stolz vor die Augen hielt und dann mir zum Trotz es so herzte und schmatzte und es ausputzte wie ein Christkindchen. Herr Amtmann, ich habe manchmal ’meint, ich soll vergehn vor Neid und Schmerz und Scham.“

Frau Mäder schwieg plötzlich, sie war ebenso erregt wie ermüdet. Ich wandte mich daher zu Frau Saalmann, die mit unveränderter Ruhe ihr zugehört und nur dann und wann wie mit einer stolzen Selbstzufriedenheit leise gelächelt hatte.

„Thaten Sie das denn wirklich so aus Absicht, Frau Saalmann?“ fragte ich.

„Accurat!“ antwortete sie ruhig, „und ich that’s grad deswegen, weil ich wußt’, wie es in ihr aussah und wie sie sich verstellen thät. Hätte sie zu mir gesagt: ‚So und so ist es in mir und es thut mir leid, daß ich kein Kind hab’!‘ wahrhaftig, es hätte mir dann auch leid gethan für sie. Ich hätte sie dann auch nicht mehr gehänselt und gestachelt und hätte mein Kind lieber ganz allein für mich daheim gehalten, als ihr damit weh zu thun. Aber wie sie’s machte und wie ich nun noch sah, daß sie auf mein Kind gar die Wuth hatte, da wollt’ ich accurat so thun, wie ich’s gethan.“ Frau Mäder hatte sich währenddem wieder erholt und fiel nun rasch ein:

„Ja, und so that sie mir’s immer mehr und ich konnt’ kaum mehr an mich halten und die Ehr’ fraß mir am Herzen wie ein giftiger Wurm. Und gerad heut’ war’s am allerschlimmsten, wie sie da mit ihrem Kind herausgestelzt kam, als ich vor der Thür stand, und wie sie mir’s vor den Augen herumtänzeln ließ und mich anstachelte, daß mir die Finger krumm wurden. Ich konnt’ und konnt’ mich nicht mehr halten. Es brach Alles in mir los: die Ehr und die Scham und der Neid und die Wuth, und ich hab’ geschimpft, das ist wahr. Und dann hab’ ich das Kind gezerrt und geschuppt, daß es schrie; das ist auch wahr.“

„Und da setzte ich mein Kind rasch in die Thürecke,“ fiel nun Frau Saalmann heftig und mit dröhnender Stimme ein, „und packte die Frau an, die mein Kind so verschimpirt hatte, und schlug sie, daß es klatschte. So hab’ ich ’than. Und so kam’s.“

Nun waren beide Frauen ganz still und blickten in scheuer Verlegenheit zu mir hin. Auch ich war verlegen. Mit einer bloßen Amtshandlung war hier wenig oder vielmehr gar nichts geschehen; wenigstens nichts, was nachhaltig Gutes wirken konnte. Eine gewöhnliche Moral zu predigen, schien mir auch nichts zu bedeuten. Plötzlich faßte ich Frau Saalmann scharf und tief ins Auge und sagte mit ernst eindringendem Tone:

„Sie haben mit Ihrem Kinde einen gottlosen Hochmuth getrieben. Sie haben das herrlichste Gut einer Mutter dazu benutzt, um eine Andere zu kränken. Frau Saalmann! Frau Saalmann! Wenn solch frevelhaftes Spiel nun an Ihnen bestraft würde? Wenn Sie Ihr Kind plötzlich verlören? Wenn –“

Da bebte die große, starke Frau zusammen und that einen dumpfen Schrei; ihr Gesicht wurde kreideweiß und um Mund und Nase zuckte es heftig. Sie schaute in Todesangst zum Fenster; dann erstaunt, fast erschrocken auf Frau Mäder, denn die kleinen braunen Augen derselben standen voll Wasser und waren mit dem Ausdruck angstvollen, rührenden Mitleids auf ihre zitternde und todesbange Gegnerin gerichtet. Diese schüttelte rasch und heftig mit dem Kopf; so, als ob’s nicht wahr sei, nicht wahr sein sollte, was sie da sehe; aber doch wurd’s ihr auch schon weich um’s Herz, bis auf einmal wieder die Todesangst um ihr Kind sie erfaßte und sie flehentlich ausrief:

„O Herr Amtmann! Herr Amtmann! lassen Sie mich gehn, mir ist’s, als wenn die Decke über mich einfiel. Mein Kind! mein Kind!“ Sie stürzte zur Thür, aber sie konnte nicht weiter und mußte sich festhalten.

„Ich seh derweil rasch nach dem lieben Engel!“ schluchzte Frau Mäder und trippelte rasch hinaus. Frau Saalmann schaute ihr wie träumend, doch auch sichtlich froh und beruhigt nach und folgte ihr dann langsam. Ich ging ihnen bald unbemerkt nach und ich sah, daß Frau Mäder in das Haus der Frau Saalmann jagte, dann mit dem Kind herauskam, es mit unendlicher Sorgfalt und inniger Zärtlichkeit hielt und herzte, mit triumphirenden Blicken es der Mutter entgegentrug und in deren Arme legte. Sie drückte es heftig an sich und küßte es inbrünstig, mit einem großen Aufblick nach oben; dann gab sie es wieder an Frau Mäder, und Beide lachten und weinten in einem Athemzug. A. Schl.