Seltene Zähmung eines Wolfes

Textdaten
<<< >>>
Autor: Th. H.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Seltene Zähmung eines Wolfes
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 344
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[344] Seltene Zähmung eines Wolfes. So viele Beispiele es auch von der mehr oder weniger großen Zähmung wilder Thiere giebt, so gilt doch der Wolf im Allgemeinen als unzähmbar, und selbst wo er seit seiner frühesten Jugend von Menschen aufgezogen ist, verleugnet sich seine tückische und blutdürstige Natur nur äußerst selten. – Ein Beispiel aber, daß Herr Isegrim vollständig zum Hausthiere und treuen Freunde seines Herrn werden kann, ist augenblicklich der Stadt Dorpat geboten und möchte als einzig in seiner Art dastehen. –

Ein junger Studirender der Medicin erhielt im vorigen Jahre einen nur einige Wochen alten Wolf männlichen Geschlechts und hat dieses Thier mit Sorgfalt und Liebe aufgezogen. – Von Haus aus mit Freundlichkeit behandelt und einem großen Hühnerhunde als Gesellschafter zugetheilt, vergalt er seinem Herrn alle Mühe und Sorge für ihn durch die treueste Anhänglichkeit. Er ist vollständig gezähmt, hört auf den Namen „Filou“ und leistet einem Pfiffe oder Rufe seines Herrn unbedingt Folge, kurz, bietet ganz das Bild eines wohl erzogenen treuen Hundes. Sein Blick hat nichts von dem sonst so tückischen Ausdrucke seiner Race, sondern frei und offen sieht er jedem Besucher in’s Gesicht und vergilt die kleinste Liebkosung mit freundlichem Schwanzwedeln und Anspringen.

Nur wenn sein Herr zu Hause ist, wird Filou losgelassen, sonst verbringt er seine Zeit in seiner mit einem Holzgitter versehenen Wohnung auf dem Hofe. Aber die Freude muß man sehen, wenn ihm die Thür geöffnet wird! In mächtigen Sätzen stürmt er hinaus, springt dann an seinem Herrn hinauf, leckt ihm mit freundlichstem Wedeln Füße und Hand und ließ auch mir bei meinem neulichen Besuche von seinen Liebkosungen reichlich zu Theil werden, indem er mir an die Schulter sprang und das Gesicht leckte. Das Gebahren des Thieres schließt dabei jede Furcht vor Gefahr, die etwa in uns aufsteigen könnte, aus. Ein ganz besonders schönes Schauspiel gab es, als sein treuer Freund, der Hühnerhund Zampa, herbeigerufen ward und nun das Jagen und Spielen der beiden Thiere begann. Auf Commando ihres Herrn mußten sie übereinander wegspringen, der Wolf über den Hund, der Hund über den Wolf. Dann wurden sie gegeneinander gehetzt, und nun ging es im tollsten Laufe über den großen Hof, bald der Wolf verfolgt von dem Hunde, bald umgekehrt. Wenn sie sich erreichten, wirbelten sie in einem Knäuel übereinander, und es war merkwürdig anzusehen, wenn der Wolf den Hals des Hundes ganz in seinem Rachen hatte, sich dabei aber sehr hütete, seinem Freunde wehe zu thun.

Man sollte denken, daß mit solcher Dressur die äußerste Möglichkeit erreicht worden wäre, aber noch eine ganz andere Probe hat Filou bestanden, als das Vorführen auf einem, wenn auch großen, doch verschlossenen Hofe.

Bei einem Besuche, den sein Herr kürzlich seinem Bruder, einem Gutsbesitzer, auf dem Lande machte, wurde das Thier mitgenommen und da man nicht wissen konnte, wie es das Fahren in einem offenen Schlitten aufnehmen würde, mit dem Hinterkörper in einen Sack gesteckt. – Doch schon nach kurzer Zeit hatte Filou sich völlig beruhigt und wurde von seiner Umhüllung befreit, worauf er sich das Fahren nach dem zwanzig Werst entfernten Gute an der Seite seines Herrn wohl gefallen ließ. Hier auf dem Gute wurden täglich große Spaziergänge mit ihm durch Wald und Flur gemacht. – In offenem Felde schoß er wie ein Pfeil davon, seinen Herrn in weitem Bogen umkreisend, doch ihn fortwährend im Auge behaltend, im Walde dagegen blieb er stets hart an seiner Seite, aus Furcht, ihn vielleicht verlieren zu können. Filou ist jetzt nach Dorpat zurückgekehrt; er ist elf Monate alt, beinahe völlig ausgewachsen, hat einen schönen wohlgepflegten Pelz und ein furchtbares Gebiß, das die Thatsache bestätigt, daß auch der stärkste Hund einem Wolf schwerlich gewachsen ist.

Dorpat, den 26. März 1875.

Th. H.