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liegen, hat Kopfschmerzen, mit einem dumpfen Gefühl, daß nicht alles in Ordnung sei, und trägt ein heißes, wenn auch noch völlig bewußtloses Verlangen nach einem Häring und Sodawasser.

Bei diesem Stadium der Civilisation angelangt, übernehmen fremde Missionäre seine Belehrung. Von dem Wunsch beseelt, die Wilden zu nützlichen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft zu machen, lassen sie sich von ihnen ihre Häuser aufrichten, ihre Felder und Gärten bestellen und unterrichten sie dafür in den Lehren der christlichen Religion. Hierin finden sie bei den Wilden nur geringen Widerstand. Mit rechtzeitiger Austheilung von wollenen Decken, Suppen, Brod und anderen Lieblingsspeisen dieser kindlichen Gemüther sichern sie sich zahlreiche Versammlungen, und die Eingeborenen sehen, solcher Freigebigkeit gegenüber, selten einen erheblichen Grund, weßhalb sie sich nicht sollten taufen lassen.

Von nun an beginnt der Indianer ein anderes neues Leben. Die Weißen mehren sich, kaufen ihm Acker nach Acker für Flaschen Branntwein ab, verjagen oder erlegen das Wild in seiner Nähe, und kultiviren den Boden mit weit mehr Erfolg, als sie den früheren Eigenthümer civilisirten. Dieser, ohne weitere Beschäftigung, da ihm die Jagd unmöglich gemacht wurde, trinkt, prügelt in der Zwischenzeit seine Familie – bettelt, wenn er nichts mehr zu vertrinken hat, und stiehlt, sobald ihm niemand mehr etwas freiwillig gibt. Zu Grunde geht er allerdings dabei, die Kultur aber hat einen weitern Schritt auf ihrem Wege durch die Welt gethan.

Was nun das eigentliche Lebensalter des Menschen betrifft, so wechselt das, bei beiden Abtheilungen, von 30–80 Jahr. Im hohen Alter tritt aber noch ein sehr bedeutender Unterschied zwischen civilisirten und uncivilisirten Völkern zu Tage. Der Wilde nämlich, wenn er stumpf und alt wird, zieht sich ähnlich wie wilde Thiere, in Höhlen und Dickichte zurück und verbrütet – dem Stamm zur Last, der ihm nothdürftig seine Nahrung gibt – die letzten Jahre seines Daseins in stiller Einsamkeit. Manche Stämme schlagen sogar ihre alten Leute einfach vor den Kopf. – Der civilisirte Mensch thaut dagegen nicht selten erst im Alter gehörig auf und wird geselliger als je. Er zeigt eine stille, aber heftige Neigung bald zu größeren Gesellschaften und Clubs, bald zu kleineren Cirkeln, die, je nach der individuellen Natur, theils in Kaffeegesellschaften, theils in Whist- und Skatpartieen ihre Erledigung findet. Er trägt dabei Brillen und Perrücken, nährt sich von Pensionen oder Renten, und stirbt erst, wenn er nothgedrungen muß.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Gerstäcker: Zur Naturgeschichte des Menschen. In: Hausblätter, 1860, 1. Band. Adolph Krabbe, Stuttgart 1860, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zur_Naturgeschichte_des_Menschen-Gerstaecker-1860.djvu/11&oldid=- (Version vom 1.8.2018)