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chemischer Processe behalten bis dicht an den absoluten Nullpunkt heran ihre Grössenordnung bei. Lässt man also die Temperatur eines ruhenden Körpers (bei constantem äusseren Druck) unbegrenzt abnehmen, so convergirt seine innere Energie nicht etwa gegen Null, was übrigens auch schon deshalb ausgeschlossen ist, weil die Reactionswärme zweier chemisch auf einander wirkender Körper auch bei den tiefsten Temperaturen endlich bleibt, sondern sie behält im Gegentheil bis auf verhältnissmassig ganz unwesentliche Glieder den nämlichen Werth wie für beliebige endliche Temperaturen. Diesen Energievorrath, der dem Körper bei Null Grad absolut verbleibt, und dem gegenüber alle in den gewöhnlichen physikalischen und chemischen Processen vorkommenden Wärmetönungen minimal sind, wollen wir hier als die „latente Energie“ des Körpers bezeichnen. Die latente Energie ist von der Temperatur und von den Bewegungen der chemischen Atome ganz unabhängig[1], ihr Sitz ist also innerhalb der chemischen Atome zu suchen; ihrer Art nach könnte sie potentieller, aber ebensowohl auch kinetischer Natur sein. Denn es hindert nichts, anzunehmen, und wäre sogar, namentlich vom elektrodynamischen Standpunkt aus betrachtet, sehr wohl verständlich, dass innerhalb der chemischen Atome gewisse stationäre Bewegungsvorgänge von der Art stehender Schwingungen stattfinden, die mit keiner oder nur mit unmerklicher Ausstrahlung verbunden sind. Die Energie dieser Schwingungen, welche sehr bedeutend sein kann, würde sich dann, solange die Atome unverändert bleiben, auf keine andere Weise verrathen als durch die Trägheit, welche sie einer translatorischen Beschleunigung des schwingenden Systems entgegensetzt, und durch die offenbar damit in engem Zusammenhang stehende Gravitationswirkung. Zur weiteren Ausbildung dieser Vorstellungen reichen freilich die aus der kinetischen Gastheorie hergebrachten Anschauungen, welche die träge Masse als etwas primär Gegebenes und die chemischen Atome als starre Körper oder als einfache materielle Punkte voraussetzen, nicht mehr aus; namentlich müsste auch das Boltzmann’sche Gesetz der gleichmässigen Energievertheilung im statistischen Gleichgewicht hier seine Bedeutung verlieren. Aber dass auf dem Gebiet der intraatomistischen Vorgänge die einfachen Hypothesen der kinetischen Gastheorie tiefgreifender Ergänzungen bedürfen, wird ja schon durch den Anblick des Quecksilberspectrums nahegelegt und ist wohl allseitig anerkannt.

Wenn nach dem Gesagten die Existenz und die Grösse der latenten Energie in der Regel nur indirect aus theoretischen Überlegungen


  1. Vergl. hierzu z. B. die Betrachtungen von E. Bose, Physikalische Zeitschrift 5, S. 356, S. 731, 1904.
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Max Planck: Zur Dynamik bewegter Systeme. Verlag der Akademie der Wissenschaften, Berlin 1907, Seite 567. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zur_Dynamik_bewegter_Systeme.djvu/26&oldid=- (Version vom 30.9.2019)