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Walther Kabel: Ziehen Raubtiere das Fleisch der Menschen jeder anderen Nahrung vor? (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 10)

ist und sich daher bedeutend leichter beschleichen und überraschen läßt.

Man wird zugeben müssen, daß diese Ansicht Hagenbecks vieles für sich hat. Für sie spricht auch folgende Tatsache. Nach dem Feldzuge Napoleons gegen Rußland im Jahre 1812, bei dem ungezählte Mengen von ermatteten Soldaten in den Schneewüsten Rußlands und Polens umkamen, zeigte sich die auffallende Erscheinung, daß die Wölfe in Rußland in den folgenden Jahren jede Furcht vor den Menschen vollständig verloren hatten und sich beutesuchend bis in die Dorfstraßen wagten, wo sie furchtlos Leute anfielen und zerrissen. Ja, es kam so weit, daß kleinere Dörfer von starken Wolfsrudeln tagelang geradezu belagert wurden, so daß zu der Befreiung der Bewohner Militär aufgeboten werden mußte. Ähnliche Beobachtungen konnte man nach dem letzten blutigen Burenkriege in Südafrika bei den Löwen machen.

In beiden Fällen liegt die Vermutung nahe, daß den Raubtieren, denen viele Verwundete, Verirrte und Ermattete mühelos zur Beute wurden, der Respekt vor dem Menschen völlig abhanden gekommen war und sich dadurch ihre Angriffslust gesteigert hatte. Statistisch ist zum Beispiel nachgewiesen, daß in den ersten zwei Jahren nach Beendigung des letzten südafrikanischen Feldzuges die Zahl der durch Löwen zerrissenen Menschen sich genau um das Doppelte vermehrte. Erst dann konnte ein langsamer Rückgang festgestellt werden, woraus wohl der Schluß zu ziehen ist, daß inzwischen dem Könige der Tiere doch wieder die Erkenntnis von dem Übergewicht des Menschen aufgegangen sein wird.

W. K.
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Walther Kabel: Ziehen Raubtiere das Fleisch der Menschen jeder anderen Nahrung vor? (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 10). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1910, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehen_Raubtiere_das_Fleisch_der_Menschen_jeder_anderen_Nahrung_vor.pdf/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)