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Die Sagen haben auch ihre verschiedenen Standorte, je nach dem eingewanderten Stamme. Bei Meran findet man die Riesen- und Zwergensagen[1] am meisten verbreitet, in der Gegend von Klausen die Schatzsagen, im Gebiete der alemannischen Mundart (Oberinnthal und Vinsgau) die Mythen von den „Saligen Fräulein.“ Wie die deutschen Orts-, Flur- und Hofnamen neben rhätischen oder romanischen bald schichtenweise über- oder untereinander liegen, bald, wie im Eisackthale, die deutschen nur eingesprengt sind, so steht es mit den Sagen.

Diese und ähnliche Gedanken tauchten bei mir auf, als mir die Gufidauner Bötin mitteilte, dass bei Laien im Eisackthale Frau Berchta umgehe. „Wissen Sie das nicht?“ fragte sie.

„Nein, das ist mir neu.“

„Ja, mit ihren Hunden, die ungetaufte Kinder sind.“

Mich überraschte die Mitteilung, da ich über die Berchta im Eisackthale nur in Vilanders gehört hatte. Sie ist ja besonders bei den Bayern erhaltene Mythe. Man vergleiche da Panzers „Beiträge zur deutschen Mythologie“, die Berchtasagen geben. In andern Teilen Tirols ist Frau Hulde, Holde gang und gäbe.

Die Bötin teilte mir nichts weiteres mit. Auf ein späteres Zudringen sagte sie: „Wer wird an diese Dummheiten glauben? Sie thäten mi nur auslachen, wenn ich Ihnen diese lappische Geschichte erzählte.“

Ich erkundigte mich weiter und erfuhr, dass in Laien früher von der umziehenden Frau Bercht viel erzählt worden sei. – Die Bötin schwieg immer.

Auf meine Anfrage berichtete mir der Pfarrer in Laien, Jac. Tappeiner, am 14. Dezbr. 1887 folgendes:

„Frau Berchta ist unter der jüngeren Generation wenig bekannt, alte Leute aber erzählen: Frau Berchte sei eine lange, tief verschleierte Frau gewesen mit aufgelösten, langen, wallenden Haaren. Sie sei meist im Abenddunkel nach dem Betläuten gesehen worden, wie sie an der Spitze einiger kleinen Hunde durch den mit Gestrüpp bewachsenen Gebirgsbach zwischen Tschöffes und dem Grödnerbach niederstieg. Ein alter Schneider erzählte mir, er habe selber die kleinen Hündlein der Frau Berchta gesehen, wie sie einmal im Hofe eines Bauernhauses daher kamen. Er versuchte, die kleinen „Köter“ zu erwischen, aber so oft er einen in den Händen zu haben glaubte, war er wieder fort. Viel mehr lässt sich kaum erfahren, denn die Sage ist dem Erlöschen nahe und schon viele Jahre ist Frau Berchte nicht mehr gesehen worden, wird wohl erlöst sein.“

Die Bötin erzählte nun: „Beim Tscharlnier war eine „Steinlammer.“ Berchte erschien bei einem Stock im anstossenden Walde und ging dann über die Wiese zur ‚Lammer‘. Unter dieser war ein Trog, wo sich die sieben Hundlen, die sie mitbrachte, badeten. Dann kehrten sie zur ‚Steinlammer‘ zurück, gingen um dieselbe herum und zum Stock im Walde und verschwanden. Berchte wurde aber auch bei verschiedenen Höfen ohne Hunde, welche die Seelen ungetaufter Kinder sind, gesehen.“


  1. Die Sage von dem Zwergenkönige Laurin kann nach dem Gedichte nur bei Meran sein und hat mit dem „Rosengarten“ im Eisackthale nichts zu thun.
Empfohlene Zitierweise:
Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_261.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)