Seite:Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin V 466.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

wie zu Wrede’s Zeit. Alle die hiesigen Ḥadhramauter riethen mir auf’s Höchste ab, ihr Land zu bereisen und zwar nicht aus fanatischen Beweggründen, sondern lediglich im Interesse meiner Sicherheit. Ohne Verkleidung werde ich mich natürlich nicht dorthin wagen können. Dagegen erfuhr ich zu meiner Freude, daß die Küstenstädte Borûm, Makalla und Schiḥr jetzt den Europäern viel zugänglicher geworden seien, als sie es zu Wrede’s Zeit waren. Wrede reiste bekanntlich sehr bald nach der Einnahme ῾Aden’s durch die Engländer, und damals war der durch jenes Ereigniß angeschürte Haß gegen alle Europäer noch so mächtig, um selbst die sonst vorurtheilsfreieren Küstenbewohner zu beeinflussen. Seitdem haben die Handelsinteressen selbst mit den Engländern freundschaftlichere Beziehungen herbeigeführt. Namentlich der Naqyb, ausgesprochen Negîb (d. h. Sultan) von Makalla soll den Europäern wohlgesinnt sein. Dieser Negîb scheint ein sehr energischer Mann zu sein, sehr verschieden von demjenigen, welcher zu Wrede’s Zeit regierte. Er hat sich erst seit kurzer Zeit durch Gewalt in den Besitz von Makalla gesetzt, wo seit Wrede’s Reise schon zwei verschiedene Schattendynastien nach einander das Scepter schwangen, d. h. eigentlich nur den Herrschertitel führten, in Wahrheit aber unter dem Joch der Beduinen standen. Der jetzige Negîb heißt Çalâḥ el Kesâdy und ist nicht aus dem Lande, sondern aus Yâfi῾a, der zwischen Ḥadhramaut und Yemen gelegenen Provinz. Er hat sich nicht nur von den Beduinen unabhängig gemacht, sondern besitzt sogar eine stehende Truppe (früher in diesen Gegenden etwas Beispielloses) von 200 Negern, mit der er das umliegende Land beherrscht.

In allerneuester Zeit hat er sogar ein Unternehmen in Angriff genommen, das in der Geschichte Ḥadhramauts Epoche machen dürfte. Es klingt zwar lächerlich, wenn man von Epoche machenden Ereignissen spricht, welche mittels einer Truppe von 200 Mann bewerkstelligt wurden. Aber dennoch ist der Ausdruck beziehungsweise richtig. Denn in Ḥadhramaut, wo die Bevölkerung dünn und stehende Truppen sonst unbekannt sind, kann man selbst mit einem Häuflein von 200 Mann wichtige Eroberungskriege ausführen. Dies hat der Negîb, Çalâḥ el Kesâdy so eben gethan. Er hat nämlich einen glücklichen Kriegszug gegen den wenigstens 6 Tagereisen entfernten und durch sehr schwierige Bergpässe von Makalla getrennten Wâdý Do῾ân ausgeführt, die Stadt Choraybe (Chorêbe) eingenommen und deren Sultan (den die Ḥadhramauter wegen dieses seines Endschicksals scherzweise mit Napoleon dem Dritten vergleichen) gefangen nach seiner Hauptstadt Makalla abgeführt. Wer die Zustände, wie sie bis jetzt in Ḥadhramaut herrschten, kennt, wird dieses uns Europäern vielleicht kleinlich vorkommende Ereigniß nicht unterschätzen. Bisher hatte jede Stadt, jedes Städtchen dieses Landes seinen eigenen Sultan, der keinen Herrn de jure über sich anerkannte, aber de facto unter der Botmäßigkeit der umwohnenden Beduinen stand. Gegen diese konnte er kaum in der Stadt seine Gewalt behaupten, über deren Mauern aber ging dieselbe nie hinaus. Daß ein Sultan mit dem andern Krieg geführt hätte, war deshalb geradezu unmöglich. Nun ist dies mit einem Schlage anders geworden. Der Eroberungskrieg des Negîb von Makalla scheint in diesem sonst nur aus allerkleinsten Duodezfürstenthümern zusammengesetzten Lande, einen verhältnißmäßig nicht unbedeutenden kleinen Einheitsstaat gebildet zu haben. Ob er übrigens Choraybe behalten oder ob er den dortigen Sultan

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_466.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)