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Die Stadt trägt in ihrer Anlage und Bauart den allen hispano-amerikanischen Städten zu Grunde gelegten Baustyl, und das vorherrschende Gründungsprinzip: einen trocknen, sterilen Boden als Unterlage und die Eintheilung des Ortes in regelmäßige Häuserquadrate und einander rechtwinklich schneidende Straßen. Haupt- und Seitenflügel des Hauses umschließen mit hohen offenwandigen, gallerieartigen Corridors den mit Blumen und blühendem Gesträuch bepflanzten inneren Hof oder Patio, den eigentlichen Wohnsitz der Familie; die Häuser sind meistens einstöckig aufgeführt, obgleich Maracaibo, weil nicht so sehr durch vulkanische Erschütterungen bedroht, mehr zweistöckige Gebäude zeigt, als die übrigen auf dem beunruhigten Boden der Cordilleren erbauten Städte. Auch hier lehnt sich derselbe lose Anhang eines dorfartigen Haus- und Strohhüttenkonglomerates an den festen Kern der Stadt an – zu vergleichen der Anlehnung des beweglichen Nomadenzeltes der farbigen, unstäten, freien Söhne der Wildniß einer heißen Sonne an den festen Schild und Herrschersitz ihrer civilisirten Häuptlinge. Mit der Einfahrt in die Hafenbucht gewinnt das Auge die vortheilhafteste und eindruckvollste Ansicht von der Stadt; diese schiebt sich in eine vorspringende, stumpfwinklige Landspitze wie ein Dreieck ein und legt sich mit den beiden Schenkeln des stumpfen Winkels hart an den Strand der Außen- und Innenbucht. An dem Strande der Binnenbucht concentrirt sich die Handelsbewegung Maracaibo’s; die stattlichsten Gebäude treten vornehm in den Vordergrund[WS 1]. Dort ankern im Angesichte der Muelle, oder Hafen- und Zollgebäude und einer langen geraden Straße die stolzen Wogenbrecher des Oceans; in geringerer vornehmer Zurückhaltung, direkt an Strand und Brücke legen die leicht tänzelnden Lagunen- und Küstenfahrer an, und durch diese besonders unterstützt, entfaltet sich in den frühen Morgenstunden jedes Tages auf dem Markte vor der Landungsbrücke ein ungemein lebhaftes und bunt bewegtes Leben und Treiben. Die fruchtbaren Ufer der Lagune und ihrer einmündenden Ströme speichern hier allmorgendlich die Schätze ihrer Bodenerzeugnisse auf und versorgen auf dem öffentlichen, meistbietenden Markte den Konsum der gänzlich productionslosen Stadt, wie den Export der großen Handelshäuser; von dem Wild-, Frucht-, Luxus- und allen Tafelgenüssen der reichen Kaufherren bis zu dem Pferde- und Eselsfutter herunter schütten hier alle Wälder, Felder, Flüsse und Seen, Ufer und Inseln das Füllhorn ihrer Gaben aus.

Die flachen, wasserarmen, mit Gras und Kräutern bewachsenen Küstenebenen Coro’s und die Cactuswüsten Maracaibo’s schichten ihre schleifsteingroßen, trocknen Ziegenkäse auf; die See- und Meerküsten


  1. Vorlage: Vordergrung
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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_431.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)