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Die Insel San Carlos, die sich in einer Länge von 7 Meilen vor den Eingang legt, ist Lootsenstation für die ein- und auslaufenden Schiffe; durch ein Kastell gleichen Namens auf der Ostspitze der Insel – das einzige aus den spanischen Zeiten erhaltene Festungswerk – wird die Durchfahrt fast „dardanellenfest“ beherrscht; hinter diesem festen Naturriegel liegt die Haupt- und Hafenstadt Maracaibo unter der denkbar günstigsten, fast idealen Hafenconfiguration geborgen. Eine geringe, wenn auch beständige Nachhülfe der Natur durch Menschenhand zur sicheren Oeffnung und Tieflegung der Barre würde den Hafen von Maracaibo allen, auch den tiefsten Kriegsschiffen zugänglich und zu einer festen, gegen Stürme und Ueberfall geschützten, unvergleichlichen Flottenstation machen. Freilich hat die Regierung, oder vielmehr die permanente Regierungsmetamorphose des Landes zu derartigen Hebungen der Landeswohlfahrt weder Zeit noch Geld, da die Permanenz der Emeuten und der Sold der zahllosen Bandenführer oder Generäle alle Sorgen und Weisheit, alle Gelder und Zeit in Anspruch nehmen; vielleicht auch betrachten Volk und Cabinet in Carácas eine Unternehmung, aus welcher zwar die politische und commercielle Macht des Gesammtstaates den Gewinn zieht, aber zunächst und zumeist doch eine Stadt oder eine Provinz besondern Vortheil nimmt, als eine rein partikularistische, persönliche Angelegenheit, der sie scheelsüchtig und ablehnend aus allen Kräften entgegen treten.

Die lange und schmale Insel San Carlos an der Boca de la Laguna überragt kaum den Wasserspiegel; nur einzelne spärliche Strandgräser wachsen auf dem wasserlosen, durchglühten Dünensand, und dunkelglänzende, grau und grüne Mangle- und Sandtraubenbäume (Rhizophora, Conocarpus, Laguncularia, Coccoloba) umsäumen seine untersinkenden Ufer. Eine einzige Niederlassung neben dem Kastell nimmt die wenigen Bewohner der Insel auf; die Annehmlichkeiten des Aufenthaltes – die ungebrochenen, senkrechten Sonnenstrahlen auf blendend und brennend reverberirendem Sande, dichte Schwärme blutgieriger Mosquitos und kleiner Fliegen, Jejenes genannt, sowie eine absolute Isolirtheit aus der Welt, theilen mit den wenigen menschlichen Bewohnern nur einzelne Ziegenheerden mit anscheinender Zufriedenheit, deren Geschmack aber unter anderen Geschöpfen weiter keine Nebenbuhlerschaft findet. Von der Boca dient die benachbarte etwas höher aber ebenso armselig gelegene Insel Toas als nächste Richt- und Leitschnur. Hart an der Barre liegt die kleine, kaum eine halbe Legua lange Insel Bajo seco, die für Venezuela ungefähr eine gleich traurige geschichtliche Berühmtheit erlangt hat,


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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_424.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)