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sein. Hier ist das von Ritter so treffend benannte Land der Passage, dem zu einem selbstständigen politischen Dasein die physischen Bedingungen fehlen dürften. Ferner sind hier auch die Gegensätze bei den am Aufstande betheiligten Völkern zu stark ausgeprägt, als daß man an die Zusammenfassung derselben zu einem einzigen Reiche glauben könnte. Sollte endlich die Central-Regierung Chinas durch die jetzigen und die vorangegangenen Kämpfe gegen ihre inneren und ihre auswärtigen Feinde schon so sehr entkräftet sein, daß sie das einstweilen verlorene Terrain nicht ganz oder theilweise würde zurückerobern können? Der Secession Junnans mußte sie unthätig zusehen, weil zwischen ihr und der rebellischen Provinz der furchtbare Aufstand der Taiping lag (der übrigens, obwohl uns die verknüpfenden Fäden wiederum entgehen, doch in irgend einem Zusammenhange mit den Empörungen der Muhamedaner stehen dürfte). Nun ist diesem, wie es scheint, die Spitze abgebrochen, wenn er auch in einzelnen Zuckungen noch fortlebt, wahrscheinlich wird also die Mandschu-Regierung die Kräfte, die sie noch besitzt, von jetzt an zu energischeren Stößen gegen ihre muhamedanischen Widersacher verwenden können. Doch wir wollen uns keine Vorhersagung über das wahrscheinliche Schicksal der islamitischen Gesammtrebellion erlauben, zumal da bei asiatischen Völkern unberechenbare persönliche Momente eine unvergleichlich höhere Rolle spielen als bei europäischen. Aber Eins müssen wir zum Schluß noch hervorheben. Die Chinesen waren in so völligen religiösen Indifferentismus versunken, daß Beobachter von ihnen sagen konnten, sie haben keine Religion. Nun sehen wir unter Menschen chinesischer Zunge Erscheinungen hervortreten, wie den Aufstand der Taiping und den der Muhamedaner, bei denen allen die Religion als wichtigste Triebfeder wirkt. Gleichzeitig sehen wir den Bann gebrochen, der die chinesische Welt bisher von der christlich-europäischen absperrte, sehen wir den Sauerteig europäischer Begriffe und Bedürfnisse immer mehr in diese alte Welt eindringen; in diesem Zusammenhange gewinnen jene Aufstände, selbst wenn sie ohne unmittelbaren politischen Erfolg verlaufen sollten, eine hohe Bedeutung, denn aus religiösen Keimen erwuchsen ebenso die Anfänge aller Cultur, wie stets von einer religiösen Wiedergeburt die Verjüngung des Gesammtlebens cultivirter Völker ausging. Von diesem Standpunkte aus verdienen die hier geschilderten Bewegungen im Völkerleben Asiens das lebhafteste Interesse des Geographen.

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Verschiedene: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Zweiter Band. Dietrich Reimer, Berlin 1867, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_II.djvu/171&oldid=- (Version vom 1.8.2018)