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Wegweiser in tunlichster Bälde nachzugehen: etwas Heidnisches, etwas Literarisches und etwas Filologisches mußte hinter diesem Wegweiser steken.

Am nächsten Tag ging ich zu Papa Schabelitz, der Alles weiß, was im Kanton Heidnisches, Filologisches oder Literarisches paßirt, oder früher einmal paßirt ist, und trug ihm mein Anliegen vor. Er hörte mir lange zu, dann sagte er in seiner troknen, skeptischen Art, mit der er stets den allzu fantastischen Anwandlungen bei seinen Autoren zu begegnen wußte: „Alles ist mir nicht klar. Aber sehen Sie doch einmal in den „Schweizerischen Volksliedern“ von Tobler nach, die mein Freund Huber in Frauenfeld herausgegeben hat. Vielleicht finden Sie dort Etwas. Wein gibt es dort jedenfalls keinen besonderen, sonst wär’ mir das Wirtshaus bekant.“

Ich las im Tobler, und las:

„Danuser war ein wundrige Knab,
groß Wunder got er go schaue;
er got wohl uf der Frau Vrenes Berg
zu dene drî schöne Jungfraue.
 *
„Er schaut zu einem Fensterli i,
groß Wunder kann er da schaue;
drum got er zu dem Frau-Vrenesberg
zu dene drî schöne Jungfraue.
 *
„Die sind die ganze Wuche gar schö
mit Gold und mit Side behange,
händ Halsschmeid a und Maiekrö
– – – – – – – – – – –“[1]

mir ging das Herz auf; ich wußte, daß ich an eine der zauberischsten Stellen des ganzen südwestlichen Deutschlands gelangt war; noch deutlicheren Beweis brachte das folgende Lied:

„Tannhäuser war ein junges Bluet;
der wolt groß Wunder g’schaue;
er gieng wol auf Frau Vreneli’s Berg
zu selbige schöne Jungfraue.
 *
„Wo er auf Frau Vreneli’s Berg ist cho,
chlopft er an a d’ Pforte:
‚Frau Vrene, wend er mi ine lo?
will halten eure Orde.‘
 *
„‚Tannhäuser, i will d’r mi G’spile ge
zu-m-ene ehliche Wibe.‘
‚Diner G’spilinne begehr ich nit,
min Leben ist mer z’liebe.
 *
‚Diner G’spilinne darf ich nüt,
es ist mir gar hoch verbote;
si ist ob’ em Gürtel Milch und Bluet
und drunter wie Schlangen und Chrote.‘“[2]




  1. Schweizerische Volkslieder. hrsg. von L. Tobler. Frauenfeld, J. Huber 1882. Bd. I. S. 102.
  2. ebenda Bd. II. S. 159.
Empfohlene Zitierweise:
Oskar Panizza u. a.: Zürcher Diskußjonen. Zürich, Paris: , 1897–1900, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Z%C3%BCrcher_Disku%C3%9Fjonen_(18%E2%80%9319)_002.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)