Seite:Zürcher Diskußjonen (16–17) 013.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

S. 26). Aber Hamann lebte eben, troz seiner magischen und christlichen Qualitäten, während des größten Teils seines Lebens in wilder Ehe, zeugte frisch Kinder, und kann hier, schon als Heterosexualer, nicht mitreden. – L. v. Scheffler, der eine der Herausgeber dieses ersten Bandes der Platen’schen Selbstbekentniße, schreibt über den gleichen Punkt: „Heine hat Platen vor aller Welt einer unnatürlichen Sünde geziehen. Nicht daß er es gethan (das mochte er und mögen die, welche es ihm bis in die neueste Zeit hinein nachsprechen, vor sich verantworten) sondern wie er es that, ist für die Beurtheilung der Frage von Interesse. Denn nur in dem Hineintragen eines Mißverständnißes, das dem großen Publikum sofort faßlich war und in dem bewußten Festhalten an demselben, liegt die Perfidie des Angriffs. Von Knabenliebe ist nach Heine in den Platen’schen Gedichten die Rede. Der Pamphletist übersieht hierbei geflißentlich, daß nicht Knaben, sondern junge Männer es waren, welche den Dichter für seine Poesie begeisterten, er verschweigt ebenso absichtlich, daß dieser besondere Schönheitscultus in edlen Seelen nichts Ungewöhnliches, ja daß er als Eros der Helenen Vorbedingung größter Taten auf dem Gebiete des rein Geistigen, der Kunst und Poesie gewesen ist; er sucht das Vorbild für das Phänomen anstatt auf griechischem Boden vielmehr auf dem römischen! Nero und der Harem seiner Lustknaben wird der reinen Freundschaftspoesie Platens gegenübergestellt!“ (Tagebücher S. X). –

Das ist nun Alles ganz schön. Aber Heine und Platen lagen eben im Kampfe miteinander. Und: im Krieg – das Sprichwort paßt auch in anderer Hinsicht hieher – im Krieg und in der Liebe ist Alles erlaubt. Es war höchst unklug von Platen, sich dem mordlustigen Heine zu überantworten. Hätte er geschwiegen, wie es seine – Natur ihm überhaupt vorschrieb. Er fühlte etwas Weibliches in ihm. Nun, Weiber ziehen nicht in den Krieg. Gar zum Satiriker fehlte ihm jede Begabung. Hätte er geschwiegen und ruhig seine schönen, glatten Verse weitergesponnen, wie z. B. in dem berühmten Gedicht:

„Nächtlich am Busento lispeln, bei Cosenza, dumpfe Lieder,
Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wieder …“

die ihm die Unsterblichkeit gesichert hätten. Und andererseits: Heine hatte gar keine Ursache, ihn zu schonen. Wiewol er als Orjentale den feinen Zusammenhang der Dinge wol kante und sehr wol ahnte, konte er sich in seiner Fechterstellung durchaus auf jenen Standpunkt der Erkentnis wie der Vorurteile stellen, wie er damals im Abendlande gang und gäbe war. Bei dem großen Publikum, welches immer weiblich empfindet, war er des Beifalls sicher. Das wäre ja auch heute nicht anders. Wenn wir auch heute auf Grund genauerer historischer, fisjologischer, psichologischer Kentniße den unweigerlich gegebenen Seelengrund eines jeden Menschen als eine unverrükbare Basis seines Schaffens und seines Daseins anerkennen – die Liebeslieder laßen wir uns nach wie vor von heterosexualen Dichtern, von der Liebe zum Weibe entflamten Jünglingen, von den Goethe, Heine und Bertran de Born singen, nicht von den Platen oder den süß-kraftlos-girrenden Mitarbeitern der „Blätter für die Kunst.“ Denn die Welt wird ja durch einige medizinische Kentniße nicht auf den Kopf gestelt. Die Liebe zum Weibe ist der Grund und Angelpunkt, auf dem unsere gesamte Organisazjon ruht, um die sich unser ganzes Dasein dreht. Denn die Liebe zum Weibe erzeugt Menschen. Die mann-mänliche Liebe erzeugt nur Gedanken und Gefühle. Für diese lezteren wird es stets schönes Drukpapier und selbstlose Verleger geben. Aber die Ersteren stehen eben für sich selbst und haben ein pochendes Herz im Leibe. Diesen Welts-Unterschied hat auch der geistvolle Ulrichs sehr wol erkant, und er verlangte nicht Anerkennung, sondern nur Duldung. Diese Duldung hätte auch Platen erfahren, wenn er nicht in unglaublicher Unkentnis des Zusammenhanges dieser Welt über die ihm gestekten Grenzen hinausgegangen wäre. Diese Duldung würde aber auch heute jenen Schöngeistern verweigert werden, die, nur mit dem Flaumbett ihrer mann-mänlichen Gefühle ausgerüstet, auf Kampf auszögen. Denn Marsyas mag im Stillen seine Flöte schnizen und im Dikicht seine bukolischen Lieder vortragen, sobald er die Himlischen angreift, wird er von Apollo unter dem Beifall der Musen geschunden werden. –

*


Empfohlene Zitierweise:
Oskar Panizza u. a.: Zürcher Diskußjonen. Zürich, Paris: , 1897–1900, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Z%C3%BCrcher_Disku%C3%9Fjonen_(16%E2%80%9317)_013.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)