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daß er sich überzeugen ließ, widerrief, wieder eingesetzt wurde, sein Aufsichtsamt wieder führte, und zwar mit Treue und Ansehen, daß ihm die unterländische Geistlichkeit wieder gehorchte, ist alles ganz in der Ordnung, wenn man es einfach nach dem, was recht ist und sein soll, betrachtet. Der ganze Vorgang hat aber etwas Außerordentliches, wenn man bedenkt, daß dies alles von und durch Menschen geschah, so wie sie sind und nur sein können. In Anbetracht der angeborenen, allen Menschen eigenen Unart ist es etwas Ungemeines und Großes, daß ein Generalsuperintendent Kirchenzucht erleidet; noch ungemeiner und größer ist es, daß er Buße thut und vor seinen Untergebenen widerruft; herrlich und schön aber ist es, daß der Bußfertige und Bekennende das Ruder wieder ergreift und seine Untergebenen sich ihm fröhlich wieder fügen, daß jenem der bekannte Irrtum weder innerlich noch äußerlich das Regiment erschwert, diese aber durch denselben im Gehorsam nicht irre werden. Daß Karg fehlte, kann uns an sich selber nicht freuen; aber fast wäre man versucht, den Fehl aus der Geschichte nicht wegzuwünschen, weil er Ursache zu einem so herrlichen Beispiel der Buße gab.

 „Kargs Widerruf ist folgender: Nachdem ich bis anhero in dem hochwichtigen Artikel unsers heiligen christlichen Glaubens von der Rechtfertigung des Sünders vor Gott mit etlichen streitig gewesen über die Rede von der Zurechnung Christi, unsers einigen Mittlers, Gerechtigkeit und Gehorsam, nun aber von den ehrwürdigen und hochgelehrten Herrn Theologen und Doctoren zu Wittenberg gütig berichtet und gewiesen worden bin, daß in dem Amt des Mittlers seine Unschuld und Gerechtigkeit in göttlicher und menschlicher Natur nicht können noch sollen gesondert werden von dem Gehorsam im Leiden und ganzen Erniedrigung des Sohnes Gottes, unsers Herrn und Erlösers Jesu Christi, weil doch sein Tod und Opfer theuer und werth ist gehalten bei Gott dem Vater um Würdigkeit, Heiligkeit und Gerechtigkeit willen der Person, so Gott und Mensch und unschuldig ist: so danke ich Gott, dem ewigen Vater unsers Herrn Jesu Christi, samt seinem eingebornen Sohn und dem heiligen Geiste, auch denen ehrwürdigen Herren Doctoren für solchen väterlichen Bericht und verspreche von Herzen vor Gott, daß ich solche Disputation hinfüro fallen laßen und gemeine, gebräuchliche und dem Worte Gottes gemäße Rede mit andern christlichen Lehrern durch Gottes Gnade und Hilfe brauchen und führen will, laut der Abrede, so zwischen ermeldten Herren Doctoren und mir zu Wittenberg geschehen ist, den 5. und 20. August An. 1570.“

 Wie es nun heut zu Tage in Franken nicht bloß vor der Generalsynode, sondern auch nach derselben – ganz neuerlich in Anbetracht der Lehr- und Bekenntniseinheit gehalten werden will, davon gäbe es schlagende Beispiele zu erwähnen. Ich erinnere allein an die vielempfohlene Behandlung der beharrlich rongeanisch gesinnten, aber nicht austreten wollenden Glieder lutherischer Gemeinden. Ketzerische Menschen sollen gemieden werden, wenn sie ein und das andere Mal ermahnt sind; sie sollen nicht ins Haus aufgenommen, nicht gegrüßt werden; man soll – denn auch das gehört hieher – mit ihnen nicht eßen, nicht beim gewöhnlichen Mahle, also noch viel weniger beim heiligen Abendmahl; – ein wenig Sauerteig versäuert den ganzen Teig und soll deshalb ausgefegt werden. So spricht unzweifelhaft Gottes Wort, so verlangt es der

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Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/88&oldid=- (Version vom 1.8.2018)