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 Vielleicht würde Herr Pfarrer Kraußold, der sich öfter im Falle findet, den Schreiber dieses in Widerspruch mit sich selbst zu sehen, gerade auf Grund dieser Erklärungen behaupten, die Laien könnten die Concordie nicht verstehen. Hat er sich doch auch auf den Vorschlag berufen, wo die Apologie und Solida declaratio als über das Verständnis der Laien erhaben genannt seien, während bald nach dem Vorschlag in der Petition ein Bekenntnis der Synode, also auch der 60 Laien zur ganzen Concordie gefordert werde. Allein gerade aus meiner Forderung der geschichtlichen Auffaßung der Bekenntnisse und ihrer Artikel ergibt sich, wie viel in Betreff der Symbole den Laien heut zu Tage zugemuthet werden könne oder müße. Die symbolischen Bücher stehen im geschichtlichen Zusammenhang mit einander; sie geben einander Licht. Ist nun in einer Kirche der geschichtliche Zusammenhang, die geschichtliche Auffaßung, fast möchte ich sagen: die lutherische Tradition – bewahrt; dann kann man auch für den Einfältigsten, der nur den Katechismus, oder nur den Glauben faßt, der lutherischen Entschiedenheit wegen ruhig sein; die Strömung lutherischer Tradition bringt auch ihm seinen Antheil am harmonischen Verständnis und Bekenntnis der ganzen Kirche zu. Die ganze Kirche garantirt ihren geistig Armen die confessionelle Wahrheit. Man kann in diesem Falle dasjenige, was p. 9. des Vorschlags von der einer jeden Faßungskraft genügenden Concordia gesagt ist, desto mehr bestätigt finden.

 Nun ist aber freilich nicht zu leugnen, daß das, was ich die Strömung lutherischer Tradition nannte, gegenwärtig zwar nicht versiegt, aber doch in ein engeres Bette gekommen ist, und eben deshalb wird desto mehr Aufmerksamkeit nöthig sein, die Strömung zu finden. Hiezu gehört, daß man auch von Seiten der Laien fürs erste sich mehr in die Symbole hineinlebe und auf die unzweifelhaft lutherischen Zeugen der vergangenen Zeiten der Auffaßung wegen merke. Es scheint dies eine große Forderung. „Denk Dir nur Deine Bauern!“ entgegnet man mir. Allein besteht denn die Kirche aus lauter Bauern? Wenn auch der Bauer wirklich so unfähig wäre, so gibt es doch außer den Bauern noch viele andere Laien, denen niemand die Fähigkeit absprechen wird, die Concordie zu verstehen, wenn sie nur wollen. Denk doch nur an die Juristen, Philologen, Mediziner, Kaufleute, Handwerker etc. denen allen nicht bloß für den Catechismus die Fähigkeit zuzutrauen ist, so wie sie einmal guten Willen haben. Und auch der Bauer ist nicht so, wie man ihn oftmals denkt. Es gibt viele Unwißende und viele verkümmerte Köpfe im Bauernstande, das ist wahr; aber unter denjenigen Landleuten, welche einmal für das Christenthum gewonnen sind, findet man gerade auch viele offene Köpfe, welche vor der Concordie nicht erschrecken und ihren bestimmten Segen für Herz und Kopf aus ihr nehmen können. – Wie bald ist oft an einem Orte die Tradition wieder aufgefunden und wie treu kirchlich wird dann auch das kleinste der Bekenntnisse aufgefaßt!

 Wenn nun das Verständnis der Concordie für die Laien überhaupt nicht so gar schwierig ist, warum sollte es denn gerade den zur Synode deputirten Laien besonders erschwert sein? Man kann doch jeden Falls erwarten, daß die

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Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/73&oldid=- (Version vom 1.8.2018)