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6. Es gibt auch combinirte Pfarreien; Lutheraner und Reformirte stehen unter Einem Pfarrer, der einen jeden Theil nach seinem Ritus bedient.
7. Eine Verpflichtung auf die Symbole hatte so ziemlich aufgehört, wenn gleich neuere Ordinationsscheine einige allgemeine Worte von Verpflichtung aufs Bekenntnis führen.[1]
8. Es gibt factisch zwischen Lutheranern und Reformirten Abendmahlsgemeinschaft. Jedermann weiß es, ohne daß es abgethan wird.
9. Viele Gemeinden, von Haus aus lutherisch, haben nicht bloß reformirte Form des Gottesdienstes überhaupt, sondern, was die Hauptsache ist, des Abendmahles, Reformirte, unirte Distribution.
10. Es gibt weder confessionelle Lehrzucht, noch öffentlich angeordnete Sittenzucht, obwol beide von Gott und den Symbolen und den Kirchenordnungen gefordert werden. (Die löblichen Beispiele von Strenge gegen Geistliche gehen von allgemein christlichem, nicht von confessionellem Standpunkt aus.)
11. Die neuerlich eingeführten oder erlaubten liturgischen Schriften, Gesangbuch und Agendenentwurf, sind durchaus nicht Zeugnisse von der zu Recht bestehenden doctrina publica.
12. Der bayerische Missionsverein, als Missionsverein einer protestantischen Gesammtgemeinde, thut verschiedenen Kirchen Handreichung und beweist mit nichten das Recht einer besondern lutherischen Landeskirche[2]
etc. etc. etc.

 Nun ist es zwar richtig, daß alle diese Dinge sich in den Zeiten confessionellen Entwerdens festgesetzt haben, und daß man sie deswegen mehr als Krankheitssymptome, denn als Sünden deuten könnte. Allein sie sind denn doch einmal da, und zwar bestehen sie größten Theils zu Recht, auf Grund verfaßungsmäßiger Bestimmungen, so daß sie ein übles Licht auf die Behauptung rechtlichen Bestehens der lutherischen Kirche werfen können. Oder ist es nicht so? Ist die verfaßungsmäßige protestantische Gesammtgemeinde mit allen ihren Combinationen in den Organen von oben bis unten etwa ein Beweis, daß es eine lutherische Kirche in Bayern gibt? daß sie zu Recht besteht? Allermindestens schaffen diese gewaltigen Widersprüche Zweifel und Anfechtung und Verwirrung der Gemüther, welche darauf achten. – Da schien es nun das Beste, die richtige Meinung


  1. Ein Candidat las in neuester Zeit in seinem Ordinationsschein von einer Verpflichtung, die er bei allem Aufmerken nicht erlauschen konnte, als er ordinirt wurde.
  2. Aus der Conföderation der Kirchen, wie sie im Oberconsistorium etc. erscheint, folgen alle andern angegebenen Beweise einer bayerischen Kirchenconföderation. Zugleich gibt der gerügte Zustand unserer Landeskirche Zeugnis, wie leicht Conföderation Union und confessionellen Indifferentismus erzeugt. – Der bayerische Missionsverein vollends, dessen Ausschuß durch Wahl bald so, bald so gesinnt sein kann, ist nur ein Vorläufer der neuen wittenberger Richtung, welcher er in Bayern auch Bahn machen mußte, so wenig es auch von seinen hervorragenden Gliedern beabsichtigt wurde.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/63&oldid=- (Version vom 1.8.2018)