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mancher protestantischer Kirchengesellschaften – die rechte Mitte rücksichtlich der Aufnahme in die Kirche lernen. Wiewol bei unsern Heidenmissionaren wenigstens, wenn man nicht einige Erfolge in den lutherischen Stationen in Ostindien, für welche Gott zu loben ist, ausnehmen will, kein solcher Zudrang ist, daß man das Bollwerk eines ausgebildeten Catechumenenwesens sehr vermißte. Wenn man nun aber das Catechumenat als Mittel benützen will, in den von Alters her bestehenden Gemeinden einen engeren Kreis und beßeren Kern um den Pfarrer zu sammeln, dann fürchte ich, man hat anstatt meines Vorschlags ein zwar vollkommeneres, aber auch weit gestrengeres und schärferes Hilfsmittel aufgefunden, welches alle die praktischen Bedenken, die man gegen meinen Vorschlag erhob, gegen sich vereint, mit diesem kaum einen erleichternden Umstand gemein hat (z. B. nicht den Vorgang und die Analogie der Erbauungsstunden), und kurzum unmöglich wäre, ohne daß eine Scheidung und eben damit gerade das erfolgte, wogegen man den ganzen Gedanken gesetzt hat. Für verderbte Gemeinden ist das schärfste Zuchtmittel das Catechumenat, das mildeste, was wir wollen: Abweisung der offenbaren, unbußfertigen Sünder vom Sacrament, Sammlung der beßeren Glieder zu einem Verein für apostolisches Leben und geduldige, seelsorgerische Einwirkung auf die Uebrigen durch den Pfarrer selbst und allenfalls durch Diakonie des genannten Vereins. Das Catechumenat vertritt die positiven Forderungen des Evangeliums an die, welche Christen sein und werden wollen; die Abweisung vom Sacrament geschieht nach dem gewöhnlichen Brauch der Kirche (gegen den wir uns nicht wehren wollen) auf Grund einer Art von negativem Leumundszeugnis, denn es geht zum Sacrament, gegen welchen keine Klage spricht, auch wenn ihm kein Lob gesprochen werden kann. Was strenger ist, tritt in die Augen.

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 Zwar ist nur einerseits das alte Catechumenat in seiner vollen Strenge desiderirt worden, während anderer Seits neben dem gewöhnlichen („gnesiolutherischen“) Catechumenat der Kirche ein auf freiem Wege entstehendes, dem alten ähnliches in Vorschlag gebracht wurde. Die Anwendung des ersteren trifft das, was ich bereits sagte. Es würde hiemit ein Sturm heraufbeschworen werden, welcher dem Gebäude der Landeskirche, das ohnehin nur durch Klammern und Schlaudern zusammengehalten wird, einen schnellen Ruin bringen könnte. Aber auch der zweite Vorschlag dünkt mich doch gar nicht probat. Es gäbe da ein zweites Catechumenat, welches am Ende dem gnesiolutherischen gegenüber bevorzugt werden müßte. Da es auf dem freien Willen der Teilnehmer bestände, würde es möglicher Weise den Pharisäismus mehr befördern, als alles Vereinswesen, je höher die Catechumenen im Urtheil der Christen ständen. Wie alles „Beßer-sein-wollen“ würde es einen und zwar vielleicht nicht mindern Haß, Neid und Sturm der Bösen erregen, als das erstgenannte alte Catechumenat. Ja, während es das Ansehen des gnesiolutherischen Catechumenats schmälerte, könnte es vielleicht selbst – wegen der Zweiheit – zu keinem unbezweifelten Ansehen gelangen, – und die dadurch nothwendig entstehende Scheidung innerhalb der Abendmahlsberechtigung (Abendmahlsgenoßen und Abendmahlsgäste etc.) wäre ein novum der gefährlichsten Art. Vielleicht habe

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Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/54&oldid=- (Version vom 18.5.2019)