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sind die Gaben, welche der HErr den Seinigen geschenkt hat. Keiner hat alle Gaben, jeder seine besondere Begabung und Befähigung für dieses oder jenes Werk. Wozu einer begabt ist, dazu ist er berufen zu arbeiten und dazu will er auch gerne sich bemühen. Wenigstens glaube ich, es werde die Lust und Neigung sehr oft mit der Begabung zusammengehen. Haben nun mehrere einerlei Gabe, so werden sie einerlei Werke wirken, und es wird gut sein, wenn solch gleichbegabte Glieder der Kirche auch unter einander im Zusammenhang stehen. Die gleiche Begabung, der gleiche Sinn für dies oder jenes Werk hat daher, zumal wenn irgend ein Werk durch Zeitverhältnisse als besonders wichtig hervortrat, wenn irgend eine Noth darauf hinwies, die Christen je und je zusammengeführt. Ich denke deshalb, es werde das Recht der Vereine auch für Kirchen, die wären, was sie sollen, auf der gleichen Begabung und der jeweiligen Nothwendigkeit, ein oder das andere Werk mit größerem Ernst zu betreiben, ziemlich sicher ruhen. Vielleicht könnte man also sagen, es habe je und je, in guten und bösen Tagen der Kirche Vereine gegeben, wenn sie auch nicht allezeit in der modernen Gestaltung auftraten. Man kann hiebei an die so früh schon auftretenden ascetischen Vereine, an die Mönchsorden, an die Bruderschaften der römischen Kirche[1] erinnern. Ja man könnte auch auf die gelehrten Gesellschaften der protestantischen Kirche hinweisen. Ueberlegt man das alles und betrachtet man die Vereine von dem hier genommenen Standpunkte, so haben alle einen kenntlichen, gemeinsamen Zweck gehabt, nemlich Pflege und Erziehung besonderer Gaben zum Heile der Menschheit und zur Ehre Gottes. Wer wird nun kirchliche Vereine in diesem Sinne verwerfen können? Nur das wird in der Kirche fest stehen müßen, daß kein Verein sich der Aufsicht des heiligen Amtes entziehe. Hat Ignatius in seinen Briefen die Christen vermahnt, ohne den Bischof nichts zu thun, wie viel mehr wird man ermahnen müßen, kein großes Ding ohne den Bischof zu thun? Denn groß ist ohne Zweifel die Vereinigung vieler zu Einem göttlichen Zweck. – Alles, alle Gaben erweisen sich zum gemeinen Nutzen und gehören der Gemeinde; die Gemeinde aber soll mit all ihrem Leben vor ihren Aeltesten offenbar sein und mit ihnen als Kinder mit den Vätern in allen Stücken zusammenleben. Da versteht sichs von selbst, daß kein Verein vom Hirtenamte emancipirt sein kann. – Man sollte auch unter uns, wo alle christlichen Vereine von Pfarrern gestiftet, von Pfarrern geleitet werden, wo Sinn und Theilnahme für die Vereine fast ohne Ausnahme von Pfarrern ausgegangen ist und ausgeht, schon aus Sorge für die Vereine selbst von einer solchen Emancipation gar nicht reden. Es ist der Tod christlicher Vereine mit ihrer Emancipation vom Amte beschloßen, und einen solchen Beschluß sollten am wenigsten Pfarrer faßen. Es ist nichts weniger als Demuth, es ist eher mit jedem andern Namen als mit dem der Demuth zu schmücken, wenn Pfarrer in Dingen ihren Einfluß aufgeben wollen, die ohne sie und ihr Amt nicht gedeihen, für die ihr Auge und tausendmal auch ihre Zunge, ihre Hand, ihr Fuß unentbehrlich sind. – Wenn nun aber in der gesunden Kirche Vereine für gut und


  1. S. am Schluß v. II, 1. Luthers Urtheil über Bruderschaften.
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Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/52&oldid=- (Version vom 1.8.2018)