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gegeben, es würde der Haufe der Gläubigen gewis noch viel kleiner sein als er ist. Ueberall gabs dasselbe zu schauen. Aus der todten oder bösen Masse erhob sich eine ecclesia, eine durchs Wort zusammengerufene Auswahl, an deren Dasein sich jener Haß und Gegensatz der Welt innerhalb der Kirche anschloß, den wir wohl alle, so viel unser Christo dienen, aus Erfahrung kennen, – Hat sich nun auch einer von uns geschämt oder gescheut, das Evangelium auch fremden Parochianen zu predigen? Haben wirs bedauert oder beweint, wenn einer, der in seiner Parochie nicht zum Leben kam, das Leben bei uns fand? Wir haben alle, so viele unter uns mit dem Segen einer nachdrucksamen Wirksamkeit begnadigt wurden, Schüler und geistliche Kinder außer unsern Parochien, wie in ihnen – und finden es gewis natürlich, daß Christi Schafe Christi Stimme hören und die Fremdlinge nicht hören. Fand aber irgend ein fremder Parochian bei uns das Leben, das er bei seinem frommen Pastor nicht fand, so waren gewis wir die ersten, dem frommen Pfarrer seine Kirchkinder beßer zuzustellen, als sie in unsre Kirche kamen. Es mag denn aber sein, wie es will: es zieht den Christen jeden Falls zu dem, von welchem die Ströme lebendigen Wassers kamen, die ihn wuschen und sättigten. Ein solcher heiliger, von Gott selbst gestifteter Zusammenhang der Seelen kann und soll nicht zerrißen werden – und es ist drum etwas für den Christen Erklärliches und Selbstverständliches, daß ein geistlich Kind seines geistlichen Vaters Rath beachtet. Das geschieht, der Zusammenhang wird gepflegt, man sage, was man will. Es ist drum das Beste, wenn er recht benutzt und recht gepflegt wird. Was ists also, wenn ein geistlicher Vater seinen Kindern die Gedanken apostolischen Lebens mittheilt und seinen Zusammenhang mit ihnen auf diese Weise zu ihrer Vollendung benutzt? – Es gibt natürlich auch auf dem Wege dieses Zusammenhanges Fehlgriffe und Sünde. Die wollen wir ja nicht loben. Was gesagt werden soll, ist einzig, daß es mit der Freiheit eines geistlichen Vereins nichts Verbrecherisches ist. Zum frommen Pfarrer laßen sich fromme Christen leicht weisen, zum Irrlehrer sollen sie nicht gewiesen werden; die Stimme des Fremdlings hören JEsu Schafe nicht; er soll nicht Parochus sein und will ers, so ist er zu fliehen.

 Analogieen liegen so nahe. Wer nimmt an der Mission Theil, wenn es nemlich ganz freiwillig, ohne directen oder indirecten Zwang hergeht? Die sogenannten Pietisten sind es, eitel geistliche Pfarrerskinder, Pfarrerskreise. Die ganze äußere, die ganze innere Mission wird nur von diesen Pfarrerskreisen getragen; die andern Theilnehmer sind Ausnahmen und große Minderzahl. Und beschränkt sich denn die Missionswirksamkeit auf die Parochie, greift sie nicht ungesucht über die Parochialgrenzen hinüber? Gibt nicht der fromme Erweckte seine Gabe am liebsten seinem, geistlichen Vater in die Hand? Muß er nicht meist erst von diesem angewiesen werden, sie seinem vielleicht trägen, vielleicht todten oder feindlichen Pfarrer zu einem Zeugnis zu überreichen? – So wäre es auch mit der Vereinigung für apostolisches Leben gegangen. Es handelt sich hier um Größeres, als Missionsgaben, aber nicht um Größeres, als das neue Leben ist, das durch eines Pfarrers Wort im Herzen des Zuhörers entzündet wird.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/49&oldid=- (Version vom 1.8.2018)