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die morschen, krankenden Landeskirchen konnten unter dem Stoß zusammenbrechen. Dann wären die Treuen auf sich beschränkt und genöthigt gewesen, sich auf dem alten Grunde neu und selbstständig zu constituiren. Ich und meines Gleichen hatten nun zwar allerdings keine Lust, uns etwa mit den Absichten der Feinde zu vereinigen, das alte zusammenzuwerfen und durch diesen Ruin den Neubau herbeizuführen. Wer das sagt, behauptet mehr, als er weiß. Aber wenn eine solche Katastrophe eingetreten wäre, hätten manche von uns sie vielleicht trotz der ihr sich anhängenden augenblicklichen Schrecken und Wirrnisse nicht gefürchtet. Zur Zeit, wo man die Wagenburg um Jerusalem, einstmals Gottes heilige Stadt, schlägt, flieht man nach Pella und läßt den Sturm vorüberziehen. Es ist der Weg nach Pella in solchen Fällen ein gewiesener Weg, welchen zu gehen am Ende doch ein wenig Muth nöthig ist, so sehr er von manchen der Feigheit wegen verschrieen ist.

 Unserer Meinung waren freilich, je mehr es sich zum Unglück anlaßen wollte, desto wenigere. Von dem Jammer, den etliche von uns tagtäglich aus der Zusammensetzung ihrer Gemeinden und der ganzen Kirche schöpften, weniger erfaßt, wollten die meisten unter den uns bekannten beßern Pfarrern sich nur fest an das, wie sie sagten, noch zu Recht bestehende Bekenntnis anklammern, übrigens aber mit allen gegebenen Kräften einer Auflösung des Bandes, welches die verschiedenartigen Bestandtheile der Kirche zusammenhielt, entgegenarbeiten. Manche glaubten auch die Bekenntnisfrage in einer Zeit, wie diese, nicht in den Vordergrund treten laßen zu können; auch sie schien, wie es denn auch wirklich der Fall war, dem Conglomerate der Landeskirche zu harte Stöße zu drohen. Das Bekenntnis schien am gesichertsten, wenn man es gar nicht in Frage stellte, es voraussetzte und ohne Noth nicht von ihm sprach: eine Erinnerung an es konnte einen Kampf heraufbeschwören, über dessen Ausgang man keine fröhliche Gewisheit hatte. Dazu kam bei einem möglichen Riße die Sorge für so viele Unwißende, Schwache, Kinder etc. – – und kurz, man hielt ein Auseinandergehen der nicht Zusammengehörigen für das traurigste Ereignis von der Welt.

 Ungefähr so waren die Gedanken, welche wir bei sehr vielen Pfarrern der Landeskirche merken konnten. Wir hätten lieber gewünscht, es hätten alle gedacht wie wir. Ein unumwundenes Bekenntnis zum Bekenntnis, von möglichst vielen gethan, ein gemeinschaftliches Verwerfen falscher Lehre, eine furchtlose Erklärung für die Nothwendigkeit wenigstens der Beicht- und Abendmahlszucht hätte, und zwar gerade in einer solchen Zeit, vielen hundert schwachen Seelen Muth und Zuversicht zur Kirche gegeben, das Dasein einer wahren Kirche beurkundet, vielleicht Haß, aber auch Ansehen verschafft. Bei dem Landvolk wenigstens würde ein gemeinsames Auftreten vieler Pfarrer, ein Ruf zu Buß und Glauben vielfachen Anklang gefunden haben. Es hätte sich vielleicht ein Haufe von Feinden der Kirche von ihr gewendet und getrennt, aber kein Schwacher wäre dadurch geärgert worden, im Gegentheil! desto inniger hätten sich der Kirche die Beßern und alle die ergeben, welche noch Empfänglichkeit für die Gewalt eines großen

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Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/44&oldid=- (Version vom 1.8.2018)