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Brüder so unangenehm und beschwerlich gemacht hat – Auch jetzt noch bleibe ich, wie es der Verlauf der Sache mit sich bringt, zunächst bei den von mir sogenannten materialen Uebeln. Wie wenig wir die formalen Uebel außer Acht gelaßen haben, zeigt sich weiter unten.

 Es drückten uns die materialen Uebel genug; manche unter uns litten unter ihnen gar sehr. Man hat in der neueren Zeit an Berthold Auerbachs Dorfgeschichten und ähnlichen Schilderungen des Dorflebens viel Wolgefallen gefunden. Mir sind, ich gestehe es, namentlich jene Auerbachischen Erzählungen wie von einem bösen Dämon beseelt vorgekommen. Innerlich bei weitem wahrer sind gewis Schilderungen des Dorfes, wie sie Pestalozzi in Lienhard und Gertrud gab, besonders im I. Theile des merkwürdigen Buches. Bei Auerbach erscheint das Leben des Dorfbewohners und der Dorfjugend im Schimmer einer poetischen Darstellung als selbst poetisch; so wie es ist, wird es als herrlich dargestellt, und als empfängliches Saatfeld für die Ideen der neuen Zeit gepriesen. Wer die schwarzwälder Dorfgeschichten etwa gerade in jener Zeit des Jahres 1848 gelesen hätte, wo im badenischen Seekreis die Flamme des Aufruhrs loderte und dieser Aufruhr die Zeitungen füllte, der hätte vielleicht ein Gefühl gehabt, wie wenn Auerbachs Geschichten u. dgl. eine Weißagung, wo nicht gar eine Saat der neuesten Zeit gewesen wären. – Auerbachische Dorfgeschichten könnten nun freilich wir Dorfpfarrer nicht geben. Von diesen Sodomsäpfeln ist uns gar oft der innre Staub ins Auge geflogen. Wohl aber könnten wir Pestalozzi nachfolgen. Ja, Dorfbilder, wie wir sie täglich vor uns sehen, verlangten schwärzere Tinten, als selbst Pestalozzi hatte, dem seine Ansicht von der natürlichen Beschaffenheit des Menschen manch grauenvollen Blick in die Tiefen des Dorflebens ersparte. Pestalozzi schrieb in Hoffnung auf seine Schule; die sollte alles beßern. Wir freilich sehen größere Kräfte, als die Schule namentlich gegenwärtig besitzt, an diesen Uebeln vergeblich rütteln. Vor einem Sinn, wie ihn der Landmann unserer Zeit der großen Mehrzahl nach an den Tag gibt, weicht auch der größte Menschenlehrer und Erzieher, der Geist des Herrn, welcher doch keiner Macht weicht, als der des beharrlich widerstrebenden Menschenwillens. Es hat daher schon vor der Revolution in verschiedenen Gegenden treue und einsichtsvolle Seelsorger gegeben, welche ihre größte Sorge darein setzten, daß nur nicht auch das wenige Beßre in den Gemeinden vom Bösen verschlungen würde und kein Heil sahen, außer in irgend einer Ausscheidung und Vereinigung – nicht der Vollkommenen, denn wer kannte solche? – aber doch derer, die sich von Gottes Wort und Geist noch leiten laßen wollten.

 Als nun vollends im Frühjahr 48 die Pestbeule Europas aufbrach und das ansteckende Gift derselben in einer Eile die Länder und Völker ergriff; da schien man vollends auf das Sammeln der beßern Elemente hingedrängt zu sein. Die Gottlosen durchbrachen die Dämme, – die Staaten neigten sich, um zu bestehen, zum Bündnis mit den Zeitideen, – die verderbten Massen konnten, so wie sie sich gaben, alle Tage die Kirche verabschieden und sich ihren Liebesdienst verbitten, –

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Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/43&oldid=- (Version vom 15.5.2019)