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müße wenigstens durch grundsätzliche Aufstellung durch Lehr- und Sittenzucht, oder es entsteht die Nöthigung für die Beßeren, die eigene arme Seele aus den versuchlichen und ansteckenden Zuständen zu retten. 2. Cor. 6, 14 ff. Eins oder das andere. Hier liegen apostol. Anweisungen für beide Fälle. Sie scheinen mir sammt ihrer Anwendung auf unsre Lage ganz klar. – Vielleicht war ich zu schnell mit meinem Urtheil, daß der zweite Fall vorhanden sei. Ich ergebe mich darein, alles Mögliche zur Beßerung zu versuchen; aber wie man angesichts dieser Sprüche und unsrer Lage ohne großen Eifer und treuen Fleiß auf dem puren Recht der Confessionen und dem lutherischen Namen der Kirche ruhen kann, das verstehe ich nur nicht: ich verstehe es weder vom Standpunkt des Glaubens, noch von dem der Liebe, weder von dem des einfachen Christen, noch von dem des Pfarrers, der täglich inne wird, wie Lehr und Leben zusammengreifen. Das bloße Recht einer Confession ohne materiellen Bestand (wie ich mich einmal misverständlich ausdrückte), d. i. ohne daß die Confession im Herzen der Gemeinden eine rechte Anerkennung, Theilnahme und Hingebung findet, scheint mir eine gute Firma für die innere Mission, Seelen zu gewinnen; aber ob da schon eine Kirche sei, wo sie rechtlich bestehen darf, – ob namentlich ihr Grund und Boden weiter gehe, als auf die, welche sich zu ihr bekennen, natürlich so bekennen, daß das Bekenntnis ohne Widerspruch der That erhoben wird, – ob also die abfälligen Maßen und Irrlehrer anders, als in dem sehr limitirten herkömmlichen Sinn, in welchem auch der Excommunicirte noch als Kirchenglied gilt, zur Kirche gerechnet werden können, – ob dem Abfall und der innern Scheidung nicht auch ein, wenn auch noch so schmerzliches Scheidungsurtheil von Seiten der Bekenntnistreuen folgen müße, beides aus Liebe zu den Abfälligen und zu den Treuen: das sind nun wieder Fragen, für welche die rechte Antwort vielen misliebig, aber deshalb nicht minder recht sein kann.

 Man frage uns nicht, warum wir unsre Lage erst neuerlich so schwierig und unerträglich finden? Die Frage ist falsch. Wir fanden sie längst unerträglich, wir sind längst geängstet, wir tragen seit Jahren so schwer. Wir hätten auch längst Zeugnis geben und zu ihrer Verbeßerung arbeiten sollen. Ebendeswegen wären wir aber um so schuldiger, wenn wir auch jetzt in träger Ruhe verharrten. Der Apfel fällt nicht, ehe er reif ist, – und oft brennt ein Feuer in dunklem Dampfe und trüber Hitze, in eingeschloßenem Raum, bevor es zur hellen Flamme ausschlägt. – Wir können wenig thun; aber nach unsern kleinen Kräften wollen wir von nun an auf den Wegen, die uns, Christen und Dienern JEsu, ziemen, nach Beßerung streben. Gott helfe uns, daß wir bald in Zustände kommen, in denen wir ohne immerwährende Gewißensnoth in Hoffnung beßeren Gedeihens leben und ohne Vorwurf wißentlicher Verschuldung sterben können.




 Diese unsre Lage, von der Verfaßung und den öffentlichen Erweisungen der bayerischen Landeskirche als solcher fürs Erste zu schweigen, weil beides doch ferner

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/35&oldid=- (Version vom 1.8.2018)