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Gemeinden mit uns. Dagegen müßen wir uns wehren. Wir handeln deshalb im eigensten Interesse, wir thun völlig das Unsrige, wenn wir um Beßerung des Ganzen rufen, und der Rath, das Unsre zu thun, das Andre andern zu überlaßen, fäht bei uns nicht, weil wir eben so das Unsrige nicht thun können. Es muthe uns deshalb nur niemand diese lieblose, arge Trägheit zu, uns armen, ringenden, kämpfenden Knechten und unsern ohnehin oft heulenden Gewißen.

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 Derselbe Rath gestaltet sich oft so, daß man uns sagt, „wir müßten uns eben gedulden und zuwarten, es werde vielleicht ohnehin beßer werden“. Ja, wenn wir bloß Missionare, Prediger, Katecheten, Täufer der jungen Kinder wären, dann könnten wirs vielleicht bei unserm offen kund gegebenen Protest gegen diese jammervollen Zustände laßen, auf dem Felde voll Dorngestrüpp arbeiten, so gut es gehen wollte, und den beßern Tag erwarten. Protest und Arbeit löste uns vielleicht von der Theilnahme an der großen Schuld der allgemeinen Zustände. Aber wir sollen absolviren, wir sollen trauen, wir sollen das h. Mahl austheilen, und, nicht zu vergeßen, wir sollen das Sakrament auch empfangen und genießen in der Gemeinschaft mit Irrlehrern und Lästerern und andern unbußfertigen offenbaren Sündern. Es ist nicht Pharisäismus, was sich in uns dagegen sträubt. Wir können uns der Anwendung von Matth. 7, 6 nicht entschlagen: was Heiligthum und Perlen – was Hunde seien, dafür brauchen wir am Altar wahrlich keine ausweichend-exegetische Erklärung: wir erkennen uns im Fall, und der überzeugt! Auch bekennen wir uns von Stellen, wie Rom. 16, 17. 18., 1. Cor. 5, 11. 13., 2. Thess. 3, 6, als von unzweifelhaften Gottesgeboten gefangen, ja geängstigt. Wir geben schon zu, daß jede von diesen Stellen ihre ganz eigene Stellung hat; daß man unsern Fall und jene, von welchen St. Paulus an den genannten Orten redet, unterscheiden kann; daß dies und das gesagt werden könnte, um nur Herz und Gewißen zu erleichtern. Aber die Sprüche erleiden jeden Falls, und zwar ein jeder insonderheit ihre gewisse Anwendung auf unsre Lage. Wir verstehen es auch durchaus nicht, sie also zu deuten, daß sie der Kirche nicht mehr sagten und geböten, was sie den Einzelnen und Allen, den Einzelnen und darum Allen, Allen und darum auch den Einzelnen je und je gesagt und geboten haben. Es ist wahr, daß das Verderben zu groß, und die Zahl der Beßeren zu gering ist, als daß sie leicht beßere Zustände anbahnen und 1. Cor. 5, 13 in Ausführung bringen könnten. Aber ob nicht eben in unsrer Kleinheit und großen Minderzahl der stärkste Grund liegt, uns 2. Cor. 6, 14 ff. gesagt sein zu laßen? Ob nicht die Anwendung, welche Luther in den Schmalkaldischen Artt. p. 336 f., 339 (ed. Müller) macht, im Grunde auch auf unsre Zustände gemacht werden muß, wofern sie sich als unverbeßerlich erweisen? Das sind Fragen, über die wir wenigstens uns durch Betrachtung des bloßen Zurechtbestehens der Confessionen so leicht nicht wegsetzen können, als andre. Bei alle Achtung des Urtheils meiner Freunde und Brüder, bei allem Mistrauen in die eigene Erkenntnis scheint mirs doch aus jenen Bibelstellen völlig klar, daß entweder der Geist der Wahrheit und der Heiligung in einer Gemeine nach Rom. 16, 17. 18., 1. Cor. 5, 11. 13., 2. Thess. 3, 6., die Oberhand gewinnen

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/34&oldid=- (Version vom 1.8.2018)