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Bewährung und Gestaltung im heißen Kampf. Die Einigkeit der ersten Jahrhunderte und des unsrigen ist eine ganz verschiedene und muß es sein: aber nach dem Lauf der Dinge sollte die unsrige keine kleinere, sondern eine reichere und völligere sein. Was im heißen Kampf der ersten Zeit an wahrhaftiger, menschlicher Auffaßung göttlicher Wahrheiten gewonnen wurde, darin waren die ersten Väter einig, dafür eiferten sie. Und was uns überliefert ist aus dem Kampf der Zeiten, was 18 Jahrhunderte errungen und gewonnen: darin sind billig wir einig, das halten, dafür eifern wir, das stellen wir nicht erst wieder in die Frage, das nehmen wir als ein erwachsenes, lebendiges Gewächs, das nun neue, nicht wieder alte Blüthen zu treiben hat. So viel ich mich erinnere, fand ich zuerst von Americanern der englisch-lutherischen Richtung den Gedanken klar und kräftig ausgesprochen, „man müße von den weiten bücherdicken Credo’s und Symbolen zur Kürze des apostolischen Credo zurückkehren und rücksichtlich aller der Bestimmungen, welche darüber hinausgiengen, einem jeden seine freie Meinung laßen; es sei Einigkeit genug im Credo apostolicum. So baue man die Einigkeit wieder, die längst gefallen sei“. Wie oft hat man seitdem denselben Gedanken in Europa geformt und gemodelt! Freilich, es wäre gut, wenn man den Knoten zerhauen, Jahrhunderte und Jahrtausende ignoriren und gewaltsam den Frieden aus der Urzeit heraufbeschwören könnte, der uns fehlt. Das ist Sarahs gewaltsamer Weg, welche den Sohn der Verheißung vom Kebsweib erzwingen wollte, da sie sich für zu ohnmächtig hielt, seine Mutter zu werden. Aber was ists, so kommt Ismael zur Welt, ein Spötter, dessen Hand wider jedermanns Hand und jedermanns Hand wider ihn ist. Nein, wir wollen halten, was wir haben, und das Erbe der Väter nicht leichtsinnig verschleudern, das uns – ein Boden seliger, verheißungsvoller Zukunft – vertraut ist. Wir wollens halten und behalten, und wollen es auch von denen fordern, die uns und unsre Kinder durch die Zeit zur Ewigkeit geleiten sollen.[1] Wir wollen es fordern und uns nicht abermals wägen und wiegen und von mancherlei und falscher Lehre umtreiben laßen. Wir wollen es so lang fordern, bis es uns niemand mehr weigert, oder bis uns Irrthum nachgewiesen ist, oder bis es sich zeigt, daß wir zu viel gehofft. Und zu solcher treuen Forderung ermuthige und stähle uns der Blick auf die Gemeinde und auf die ganze Kirche, auf diese Geschlagenen, die es in ihrem innern und äußern Leben, ach wie schrecklich büßen sollen, daß die Hirten in der Wüste über Brunnen, Weide und Wege stritten.

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 Ach, es braucht alle Ermunterung und Stählung! – Wenn freilich alle oder doch viele Amtsbrüder denselben Druck der Verhältnisse litten, dieselbe Gewißenslast trügen, und einig wären, nach Beßerung zu ringen, dann wären wir eine Macht, welche ihrer Ueberzeugung in der Kirche Nachdruck verschaffen könnte. Wenn es nun aber umgekehrt wäre, wenn die meisten den Druck der Lage entweder nicht fühlten oder doch, durch Gewohnheit hart geworden, ihn gleich andern Unvollkommenheiten dieses Lebens trügen! Wenn derer, die mühselig und


  1. S. den Anhang zu diesem Abschn. I. aus Vincentius Lirinensis.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/32&oldid=- (Version vom 15.5.2019)