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Artikel einräumt, so hat er gewonnen, und ist eben so viel, als hätte er sie alle...; denn sie sind alle ineinander gewunden und geschloßen, wie eine güldene Kette, daß, wo man Ein Glied auflöst, so ist die ganze Kette aufgelöst, und geht alles voneinander. Darum habe des keinen Zweifel, wenn du Gott in Einem Artikel verleugnest, so hast du ihn gewislich in allen verleugnet. Denn Er läßt sich nicht stückweis zertheilen in viel Artikel, sondern ist ganz und gar in einem jeden und in allen zumal Ein Gott.“ (Vergl. Guerikes Symbolik p. 541. Anm. 13.) – Es liegt schon in dem Gesagten, und es wird hier wiederholt und ausdrücklich zugegeben, daß auch die Konfessionen und Symbole noch manche Frage offen gelassen haben, über welche erst der gegenwärtigen oder nachfolgenden Zeit entscheidendes, helles Licht vorbehalten ist.[1] In diesen kann daher ein Austausch der Meinungen ganz wohl Statt finden und es können etliche inutiles opiniones geduldet werden. Ja, ich glaube auch, ganz unbeschadet meines Dringens auf confessionelle Einigkeit, hie und da einem in den Symbolen ausgesprochenen Satz eine allseitigere, reinere Faßung wünschen zu dürfen. So ist z. B. der locus de ministerio in der reformatorischen Zeit keineswegs genug erwogen worden; die Entscheidungen der Symbole, so weit nemlich solche vorhanden sind, leiden an einigem Mangel, die Kirchenordnungen und Theologen gehen deshalb trotz der Symbole nicht völlig zusammen, und es wäre möglich, ja wahrscheinlich, daß sich an diesem Locus eine gedoppelte Richtung innerhalb der lutherischen Kirche entwickelte. Sowol in Nordamerica, als in Europa zeigen sich hiezu bestimmte Anläße und Anfänge. Ich glaube an eine mögliche Entwickelung der lutherischen Kirche auch in diesem Punkte und sehe gerade hierin, wenigstens zum Theil, ihre Zukunft. Was hat man aber für ein Recht, offene Fragen, was für eines, nur im Gegensatz gegen die Römischen aufgestellte, der Fortbildung und auf diesem Wege auch der Läuterung fähige Sätze in Eine Reihe mit denjenigen Artikeln zu setzen, welche wirklich bereits im Feuer der Anfechtung gewesen und aus dem Kampfe der Kirche mit völliger und bestimmter Klarheit hervorgetreten sind? In diesen muß unter den treuen Anhängern einer Confession Einigkeit sein. Oder was will man denn in Bezug auf die bayerische Landeskirche von einigen opiniones inutiles reden, da man doch nur sein Gedächtnis ein wenig erwecken dürfte, um zu merken, daß die unter so manchen Landesgeistlichen in Frage stehenden Artikel wenigstens theilweise zu den größten und bedeutungsvollsten gehören, welche die Kirche bekennt? Man streitet z. B. über die Gegenwart und Austheilung des Leibes und Blutes Christi und manche behandeln den Streit wie eine Art von Meinungskrieg: Calvin und Luther – diese zwei scheinen ihnen völlig übereinzustimmen. Und doch ist der Artikel von Calvin wesentlich nicht anders als von andern Reformirten aufgefaßt, zwischen Calvin und Luther eben so wohl, wie zwischen Zwingli und Luther handelt sichs um die Objectivität des Sacraments, welche bei Zwingli und Calvin keine ist! Und doch ist ferner dieser Streitpunkt fürs Leben der streitenden Kirche von der allerhöchsten Bedeutung und wer seinethalben im Unklaren ist, ist es über das Allerheiligste des Neuen Testaments und


  1. S. den Anhang zu diesem Abschn. I. aus Vincentius Lirinensis.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/28&oldid=- (Version vom 1.8.2018)