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Auge zum Lesen und Forschen mit, las und forschte zur Bestättigung eigener menschlicher Meinungen und Gefühle; die Forschung wurde unfrei, so konnten die Resultate nicht mit denen der Reformatoren stimmen; man wurde nicht an sich und der eignen Forschung, sondern an der der Vorzeit irre; man fühlte sich jedem Geiste und das eigne Ergebnis der Forschung jedem fremden ebenbürtig, und nur in seinem Rechte glaubte man zu handeln, wenn man das eigene Fündlein mit derselben Zuversicht wie die Reformatoren ihre sichere Wahrheit als Gottes Wort und als göttlich vortrug. So kam aus der freien Forschung durch die Unredlichkeit der Forscher der größte Schade für die Kirche. Das arme Volk konnte bei der Mannigfaltigkeit der Zungen seiner Lehrer keine Einigkeit der Geister mehr finden, weil auch keine da war: sie lernten alles, sie lernten nichts für Gottes Wort nehmen, sie wählten unter den mancherlei Stimmen nach Geschmack, das Bekenntnis wurde zur Meinung, die Lehre zur Ansicht, nichts Festes, nichts Bleibendes gab und gibt es mehr, – und wer ja einen Satz fest hielt, der hielt ihn nicht fest als erkanntes Gotteswort, als seligmachende Wahrheit, sondern als Eigenthum, im Eigensinn. Ueber dem Nebel und Zank der Parteien, zwischen denen der HErr nicht mehr richtete, von Lehr und Glauben unabhängig hofften alle die Seligkeit des Himmels – und dort, dort hofften alle in der Wahrheit einig zu werden, an der man auf Erden verzagte:

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 Wollte Gott, es wäre nicht so geworden und ich irrte in meiner Darstellung! Wollte Gott, es paßte nichts von dem allen auf die Kirche meiner Heimat! Wollte Gott, die Einigkeit der Lehre wäre größer, als ich denke, und meine befreundeten Gegner hätten Recht! Ich sehe es aber nicht anders, als ich sage, – und auch rücksichtlich eines zweiten nothwendigen Punktes, der Sakramentsverwaltung, sehe ich die erwünschte, nothwendige Einigkeit nicht. Herr Pfarrer Kraußold sagt zwar p. 26 seiner bereits erwähnten Schrift: „Von einer falschen Sacramentsverwaltung wird man wohl nicht leicht Beispiele aufbringen.“ Allein es ist dieser Satz nicht wohl zu faßen, wenn nicht etwa der Begriff einer rechten und falschen Sacramentsverwaltung in einer den Verhältnissen günstigen, mir unbekannten Weise festgestellt werden sollte. Sind doch manche von den sonst bekenntnistreuesten Pfarrern Bayerns sogar noch über den Grundsatz im Unklaren, welchen sie anwenden sollen, wenn Reformirte oder Unirte bei ihnen das Abendmahl suchen! Hat sich doch den Verhältnissen und dem eingerißenen Misbrauch zu Liebe eine Meinung breit gemacht, als habe man keinen fremden Confessionsverwandten abzuweisen, welcher die Lehre der lutherischen Kirche vom h. Abendmahle kennt und sich dieselbe nicht abhalten, sondern wohl gar antreiben läßt, ihr Abendmahl zu suchen! Sind doch lutherische Vicarien auf dem Donaumoose sogar durch ihre Dienstesinstruction angehalten, Lutheranern und Reformirten, deren es in jenen Gemeinden gibt, das h. Mahl und zwar den Letzteren auf Verlangen nach reformirtem Ritus zu reichen! Ja nicht bloß in den noch jungen Gemeinden auf dem Donaumoose finden sich diese Dinge, sondern man kann allenfalls auch in dem von Alters her lutherischen Franken denselben sacramentalen Indifferentismus finden. Hostien und Brot, lutherische und reformirte Distributionsformeln,

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Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/26&oldid=- (Version vom 1.8.2018)