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ein Vergleichen mit dem, was dahinter ist, – auch ists noch lange nicht Zeit, auf seinen Lorbeeren auszuruhen, – laßt uns auf das sehen und uns nach dem strecken, was da vornen ist. Es handelt sich um die Erneuerung confessioneller Einigkeit, um das Zusammenstimmen mit der Concordia unsrer Väter, um das Wiederfinden, um die erneuerte Besitznahme des alten Grundes und Bodens, um das Vorwärtsgehen von dem alten Standpunkt aus; und an diesem Maßstab gemeßen, werden wir wohl so wahrhaftig und bescheiden sein müßen, zuzugestehen, daß sich in unsern Kirchen und Schulen noch eine gar zu bunte Farbenmischung findet. Nicht bloß dürften in Bezug auf die alten Unterscheidungslehren der Kirchen alle Kirchen in der unsrigen vertreten sein, sondern es haben sich unter der Firma der freien Forschung selbständiger, wißenschaftlicher Auffaßung auch über die Artikel, in welchen die alten Kirchen sämmtlich einig sind, viele und mancherlei Meinungen festgesetzt, welche wenigstens unsre Väter, welche doch treu am Bekenntnis hielten, es kannten und verstanden, nicht für kleinen Sauerteig erachtet haben würden. Wer es nimmt, wie sie, und fordert, was sie gefordert haben, der findet gewis viel, ja viel zu beklagen und faßt auch, was Herr Pfarrer Kraußold p. 22 seiner neuesten Schrift nicht zu faßen scheint, daß unsre Landeskirche in dem Sinne, wie die Väter es waren, nicht wohl lutherisch genannt werden könne.

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 Was jene freie Forschung anlangt, welche das Schibboleth des modernen Protestantismus und zugleich eine Quelle unserer innern Zerrißenheit geworden ist; so dringt zwar keine gebieterische Nothwendigkeit, hier von ihr zu reden. Ihretwegen sind wohl auch meine „befreundeten Gegner“ in der bayer. Landeskirche mit mir und meinesgleichen einig. Aber es sei denn doch erlaubt, hier ein paar Worte für und wider freie Schriftforschung zu reden – um derer willen, welche, einig im Grundsatz freier Forschung, es gar nicht für beklagenswerth, sondern als ganz natürlich und unsträflich finden, daß sich allenthalben so große Lehrdifferenzen ereignen. Wie ganz anders ist doch diesen Männern die freie Forschung gediehen, als es im Sinne der Väter lag, welche sie errangen! Diese hielten die h. Schrift in Sachen des Glaubens für so deutlich und verständlich, und sie selbst waren, ein jeder durch eigenes Lesen, so vielfach auf dieselben Resultate und zu einer so aufrichtigen Einigkeit der Lehre gekommen, daß sie hofften und erwarteten, es werde auch fernerhin jeder redliche Lehrer und Forscher zu denselben Resultaten und zur Einigkeit mit ihnen gelangen. Die zuversichtliche Ueberzeugung von der Deutlichkeit und Verständlichkeit der h. Schrift und das gute Gewißen, welches sie bei ihrer aus Gottes Wort gefundenen Lehre hatten, machte sie getrost, jedermann zu eigener Forschung im Worte Gottes einzuladen. Nicht die Uneinigkeit und Manchfaltigkeit der Lehren, sondern im Gegentheil die Einigkeit hofften sie durch die frei gegebene Forschung zunehmen zu sehen; sie wünschten, daß auf diesem Wege das Licht der einen Wahrheit in weite Kreise ausstrahlen und viele Gotteskinder aus allen Orten zu Einer Heerde vereinigen möchte. Leider geschah es aber ganz anders. Statt frei zu erforschen, was die Schrift sagt, statt sich einfältig in die Schule des göttlichen Wortes zu begeben, brachte man von vornherein ein trübes

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Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/25&oldid=- (Version vom 1.8.2018)