Seite:Wilhelm Löhe - Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern.pdf/23

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

recht sein laßen müßen, um wenigstens etwas zu erreichen und nicht alle Möglichkeit, vorwärts zu kommen, durch die volle Forderung des Rechten zu zerstören. Sie werden über manche beschwerende Unterlaßungs- oder auch Begehungssünde wegschreiten müßen, um unter Mühe, Kummer und Sünde zu einem kleinen Erfolg zu kommen. Da wird denn auch beim Gelingen das Herz nicht froh, und wie oft kommt statt des Dankpsalms, den man anstimmen möchte, aus der Tiefe der Seele ein thränenreiches: „Vergib uns unsre Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern!“ Im besten Falle gibt es vereinzelte Beispiele und Belege zum Satz, daß auch jetzt noch eine Aehrenlese möglich ist, daß Gottes Güte noch nicht gar aus ist. So wie man aber wieder in weitere Kreise schaut, auf die große Mehrzahl der Gemeinden und Menschen: ach, da sinken die Hände und es droht die werdende Ueberzeugung, daß hier nicht zu helfen steht, so lange diese Verhältnisse bleiben. So wie sie sind, verdienen nun einmal unsre Gemeinden als solche den Ruhm des christlichen Namens nicht; sie sollten anders sein und werden, man sage, was man will, und daß sie es werden, dafür gibt es weder Bürgschaft noch Verheißung. Man kann da mancherlei Tröstliches einwenden und wir wißen vielleicht ein gut Theil davon schon auswendig, noch ehe es gesagt wird. Wir haben uns selbst gar lange mit den Tröstungen getragen, die uns nun unsre Brüder so oft sich zum Schutz und uns mehr zum Trutz als zum Troste entgegenhalten. Allein, allein, es wollen uns diese Zustände, so ohne alle Basis für ein neues, beßeres Kirchenleben, so ohne allen Muth, zu helfen, gar zu schwer werden. Es sind unter uns hart Geplagten und tief Trauernden manche, die im Vergleich mit andern über Mangel an Erfolg ihres Amtes nicht eben zu klagen haben. Aber wir sind zerstreut, wenige unter viele, und all unser Gelingen macht den rechten Eindruck auf das Volk nicht. Nicht der Geist der Kirche wird aus unserm Thun erkannt, weil es zu einsam und vereinzelt ist; man schreibt unser Thun, unser Siegen und Vorwärtsschreiten nur der persönlichen Eigenthümlichkeit oder Gewalt zu; allein diese werden erkannt, geachtet, gefürchtet und gehaßt. Und gerade hierin liegt das tiefste Leiden und eine Ursache, warum auch der kräftigste, durchdringendste Seelsorger mit seinen Erfolgen nie, so lange es im Allgemeinen so ist, wie es ist, zufrieden sein kann. Oder was kann denn einem Pfarrer daran liegen, daß er seine Ueberlegenheit beweise, seine Gemeinde geistig gewissermaßen vergewaltige, wenn das gemeinsame Lehren und Verfahren vielleicht der Mehrzahl seiner Collegen um ihn her wie eine übermächtige Tradition gegen ihn Zeugnis ablegt und seinem im Grunde kirchlichen, treuen Thun und Lehren die Glaubwürdigkeit benimmt und die Herzen seiner eigenen Gemeinde vor ihm zuschließt? Es ist einem Manne, je mehr er sein möchte, was er soll, nichts widerwärtiger, als wenn er gezwungen ist, in seinem Thun allein zu gehen, – und nichts ist süßer, denn in Gemeinschaft, als Glied eines von Gottes Geist durchdrungenen Ganzen, nach gemeinsamen heiligen Gedanken und Entschlüßen all sein Thun und Laßen einzurichten und alle seine Erfolge nicht als Stufen eigener Erhöhung, sondern als der verliehenen Kraft gemäße Beiträge anzusehen, seine Kirche zu erhöhen und zum Segen der Welt zu setzen. Und wenn in diesem Sinne vor jedermanns Aug oder Ohr gehandelt werden kann, dann ist auch das

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/23&oldid=- (Version vom 1.8.2018)