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zu helfen sucht; es geht aber nicht, man betrügt sich selbst; die einfache Kenntnis der Sachen und Verhältnisse, das, was man Leben und Erfahrung nennt, und in der Tiefe der Seele ein banges Weh widerspricht und zeugt laut dagegen. Nun ja, die Menge kommt zur Beichte; also ist sie bußfertig, also will sie Vergebung, also will sie besser werden! Ist’s denn so? Heißt das wirklich vom Standpunkt des Beichtvaters und Haushalters über Gottes Geheimnisse reden? Mit dem Grundsatz pflastert der Beichtvater, so viel auf ihn ankommt, einen Weg zum Verderben. – Hie helfe uns Gott, daß wir nicht sammt der Schaar verderben, die auf breiten, weiten Straßen wandert!

 Die, welche nun von diesen Zuständen gedrückt und gepreßt sind, begehren weder Feuer vom Himmel herab zu rufen, noch auszureuten, was Unkraut ist oder scheint, nicht zu scheiden, nicht zu richten, nicht dem Richter und seinem Tage ins Amt und Werk zu greifen. Wir weisen derlei Beschuldigungen ganz und gar von uns. Wir wissen, daß wir nichts wollen, als was recht ist und christlichen Seelsorgern nach Gottes Wort geziemt. Wir sind in den obigen Schilderungen nicht einmal ins Einzelne gegangen und haben das confessionelle Auge nicht einmal auf die Jammerzustände der Kirche gerichtet, wir sind ganz bei der allgemein christlichen Betrachtung geblieben.

 Gewis, es ist nicht zu leugnen, daß Gott in den letzten Jahrzehnten das Gebet seiner kleinen Heerde um treue Arbeiter in seine Aernte erhört hat; es wäre die ungerechteste und undankbarste Gesinnung von der Welt, wenn man den Segen leugnen wollte, welchen Gott in der neueren Zeit dem geistlichen Lehrstande gegeben hat. Vielleicht hat sich keine Klasse der Gesellschaft so zu ihrem Vortheil verändert und gehoben, wie eben dieser Stand. Allein was that er? was konnte er thun? So gehoben ist er denn doch noch nicht, daß er mit völlig vereinten Kräften nach Besserung gerungen hätte. So viel besser es in seiner Mitte geworden ist, er ist und bleibt denn doch immer noch ein Kind seiner Zeit, statt daß er mit Heldenkräften eine neue Zeit anbahnen sollte; die Zeit aber ist subjectiv zerfahren, jeder will selbständig sein, keiner will Einfluß und Bestimmung von andern annehmen, die meisten oder doch sehr viele rechnen sichs zur Schande, wenn sie nicht mit ihrem Verstand und Erkenntniß vorangehen. Lieber ganz für sich sein, als einem andern beistimmen müssen. Nichts findet man seltner, als Originale, und doch will jeder originell sein. Was hilft nun ein intellectueller oder auch sittlicher Aufschwung Einzelner, seien es auch noch so viele, wenn sichs nicht einigt? Ach, da fehlt es, da sollte er anders werden! Es sind leider weder alle, noch viele, die gegen das massenhafte Verderben der Gemeinden anzukämpfen wagten. Und die es wagen, ermüden leider allzuleicht, so wie sie die Schwierigkeiten inne werden, welche sich aufthürmen, und die ersten Experimente den gewünschten Erfolg nicht haben. Gelingt es aber auch hie oder da, wird auch an dem oder jenem Orte etwas erreicht: was ist es am Ende? Die Muthigsten wagen wohl kaum, in allen Fällen der Wahrheit die Ehre zu geben; auch sie werden gar manchmal das Auge zudrücken, das Krumme grad, das Schlechte

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Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/22&oldid=- (Version vom 1.8.2018)