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Sünde, aber man bekommt, je näher und länger man ihn kennen lernt, eine desto peinvollere Ueberzeugung, daß das ganze Leben gleichsam Eine bußlose Sünde sei. Die americanischen Methodisten fordern zur Aufnahme in ihre Gemeinschaft einen Nachweis der Wiedergeburt, gewis eine verwerfliche, extreme Forderung, welche, weil sie selten rechtschaffen erfüllt werden kann, in sehr häufigen Fällen zu eitel Trug und Täuschung führen muß. Aber gewis liegt auch etwas Wahres zu Grunde, nemlich das, eben sowol im Interesse des kirchlichen Ganzen, zu dem man treten will, als in dem der einzelnen Aufnahme begehrenden Seele entstandene Bedürfnis, von den Aufzunehmenden zu wißen, daß sie es mit sich und der Kirche treu und redlich meinen. Und so viel sollte man in der That auch von den Communicanten wißen oder leicht erfahren können. Man nimmt mit vollstem Rechte auch den größten Sünder zum Sacramente, wenn seine Buße erkennbar ist; sollte man nicht bei denen, welche nicht offenbare Sünder sind, welche man für Glieder Christi halten möchte, einen Beweis ihres Strebens nach Vollendung, irgend eine Frucht ihrer fortgehenden Buße suchen dürfen? Das Sacrament ist ja doch nicht bloß die Versiegelung und Versicherung der Sündenvergebung, sondern auch Nahrung für unser neues Leben, und ein frommer Seelsorger muß doch wahrlich auf eines, wie aufs andere sehen, seinen Schafen immer neuen Frieden aus der alten, ewigen Friedensquelle, aber auch immer neuen Muth und neue Kraft der Heiligung reichen, – und eben deswegen sein und seiner Schafe prüfendes Urtheil auf beides lenken! Wer das Novatianismus nennen würde, der bewiese doch wahrlich nur, daß er entweder, was wir sagten, oder den Novatianismus nicht recht erkannt hat; er würde die erste Kirche selbst zur Novatianerin machen, welche neben dem Banne, dem einen Ende der Seelsorge, das andere im Catechumenat und dazwischen ihre ganze heilige Bußordnung festhielt – und eben damit am treuesten und liebevollsten für die einzelnen Kirchenglieder, wie für das Wohl und den Zweck des Ganzen sorgte. – Indes, es steht ja bei uns so schlimm, daß wir auf Garantien aufrichtiger Buße und redlichen Christenlebens und Strebens kaum sehen können. Wir wollten uns drum darein ergeben, von den Communicanten kein positives Zeugnis ihres Glaubens zu fordern, wenn wir nur immer das negative bekämen, das uns von der Abwesenheit offenbarer, bußeloser Sünden die nöthige Gewisheit gäbe. Bei den Massen, die sich hier drängen, wäre schon das – und die lutherische Kirche forderte es doch auch je und je! – ein reicher Gewinn, welcher jammernde Seelsorger trösten könnte. Das Verderben der Massen ist so groß, und so weit heruntergekommen sind wir, daß selbst wohlwollende Pfarrer sich nicht getrauen, nur so viel zu fordern, – daß sie auch bei einer so bescheidenen Forderung Sturm und Riß befürchten zu müßen glauben, und nicht mit Unrecht. Wie mancher Seelsorger versucht, sein Herz mit dem – doch gewis nicht richtigen – Satze zu trösten: „Wer zur Beichte kommt, ist als bußfertig zu betrachten und zum Sacramente anzunehmen. Wäre er nicht bußfertig, so käme er nicht.“ Die es sagen, glauben es selbst nicht; sie können es nicht glauben, da sie es beßer wißen. Es ist das auch so einer von den kalten, juristischen Sätzen, mit denen man sich über die heißen Uebel der Wirklichkeit hinüber

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Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/21&oldid=- (Version vom 1.8.2018)