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abermals einen Ort erwählt, wo er immerdar bliebe; sein Reich ist an jedem Orte nur zur Herberge. – Jedoch, ich schweige hievon. Ich weiß, daß schon in frühen Zeiten die Katholiker gegen die Donatisten eine gewisse Heilsamkeit des Zwanges zum Guten behaupteten, und erwarte es nicht anders, als daß man mir wie einem Donatisten begegnen wird, wenn man überhaupt diese Zeilen beachtet. Es ist aber auch schon öfter von beßeren Männern und einsichtsvollen Zeugen die Bemerkung gemacht worden, daß hie und da einmal auch die Wahrheit zwischen den Katholikern und Donatisten mitten inne lag, und diese heilige Mitte zu befördern diene nach meiner Absicht, was ich eben gegen das Stagniren der Kirche für ein gerechtes Maß der Fluctuation gesagt haben möchte. – Man deute meine unvollkommenen Worte zum Besten der Wahrheit, welche in ihnen ist. – Jedoch zum Faden dieser Erörterungen zurück!

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 Die Seelsorge auf dem Lande hat, wie wir gesehen haben, ihre besondern Schwierigkeiten. Kalt und hart fühlt sich hier die abgefallene Menge am Herzen des Seelsorgers. In seiner sittlichen Versunkenheit, in seinem bösen Gewißen steht der Landmann seinem Pfarrer wie einem strengen Richter, ja wie einem Räuber seines freien Willens und seiner guten Rechte gegenüber. Er vertraut nicht, und sieht er, daß es andere seines Gleichen thun, daß sie sich dem Pfarrer nähern und mit ihm Umgang pflegen: das müßen alsbald Verräther sein. Selbst beßere Menschen halten es daher auf dem Lande für Weisheit, ja für Tugend, dem Pfarrer nicht näher zu treten. Eine, wenn es gut geht „ehrerbietige“ Entfernung vom Seelsorger ist Prinzip im Benehmen der Gemeinden gegen den Pfarrer; darüber herrscht von den Vätern her traditionelle Einigkeit. Welcher Landpfarrer weiß das nicht, welcher beseufzt es nicht? Wir wollen uns nicht abermals in Klagen ergehen, obwol man immer in Versuchung ist, das Herz von dem übergehen zu laßen, des es voll ist. Der Hauptzweck erneuerter Erwähnung unsrer Pein ist nur der, daran die Erwähnung gewisser Uebel anzureihen, welche sich allgemein, in Städten wie auf dem Lande finden, oder worin Stadtgemeinden die auf dem platten Lande noch übertreffen. – Es gibt in den Städten viele Getaufte, welche keinen Beichtvater haben, keinen suchen, aus eigener Wahl und gerne von Absolution und Abendmal, ja von allem und jeden gottesdienstlichen Verbande fern bleiben. Dem einzelnen Beichtvater als solchem machen sie weniger Kummer; aber sind sie nicht doch ein Gegenstand des Kummers für diejenigen, welche, sie seien Seelsorger oder andere Glieder der Kirche, ein Herz für das Verlorene haben? Gehören doch diese vielen erstorbenen Glieder immerfort zu den Gemeinden – und sie haben kein Gotteswort, keinen Seelsorger; sie wollen nichts von dem – und die Pfarrer ihrer Heimat kennen sie nicht! – – „Der HErr sahe sie an, und sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben.“ – Und nun von dieser hirtenlosen Schaar abzusehen, wie viele gibt es, die, bei völlig entchristlichtem Leben, den Abendmahlsgang doch noch für eine Ehrensache halten und sich denselben nicht verwehren laßen wollen, welche als ihren rechtmäßigen Antheil an Christo das fordern, was ihnen, so wie sie sind, so wie sie’s nehmen, nur schaden kann. Solcher Leute gibts viele in den

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Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/19&oldid=- (Version vom 1.8.2018)