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wenig Sinn für das Göttliche zu haben pflegt. – Ach, man hat zur Rettung der Gemeinden im Ganzen und Großen schon so Manches versucht! Was hat man nicht angewendet, um zu helfen. Bald sollte die Predigt, bald die Schule, die Kinder- und Christenlehre, bald die Liturgie, bald dies bald das die Hauptsache ausrichten. Von einem zum andern irrte man in wandelbarer Hoffnung herum – und wie lange her ist es, seitdem man aufhörte, ganz übertriebene Hoffnungen auf die besondere Seelsorge zu stellen? Und doch findet und fühlt sich gerade der Seelsorger so gar ohnmächtig gegenüber den Uebeln der Zeit! Nicht, daß er keine Schätze, keine Himmelsspeise und Himmelshilfe hätte; er hat sie, aber wie soll er sie anwenden und vertheilen? Wo die Predigt, die Kinder- oder Christenlehre noch nichts vorbereitet hat, hat die Privatseelsorge keine bereitete Bahn, zumal wo sie durch den Beichtzwang so gar in der innersten Wurzel angegriffen ist, wie auf dem Lande. Denn sie sollte dem freiesten Willen begegnen, auf ihn, auf Lust und Neigung ist sie gestellt; nun aber wird sie wie eine Art geistlicher, wo nicht gar weltlicher Polizei angesehen, und so gar viele ziehen sich von ihr scheu zurück. Auch hier hat der Landpfarrer wieder sein besonderes Kreuz. Es büßt allerdings auch der städtische Pfarrer, welcher Beichtverhältnisse leichtsinnig eingieng, seinen Fehler oft theuer durch blutsaure und unfruchtbare Mühe, die er mit seinen schlechten Beichtkindern hat; aber sein Beichtverhältnis entsteht doch immer auf dem Wege freien Zutrauens, und das wirkt nach; es löst sich auch, wo mehrere Pfarrer an derselben Gemeinde sind, leichter und ohne so große Schwierigkeiten und Nachwehen, als auf dem Lande, wo der geistlichen Amtswirksamkeit überall der Jammer des harten Wörtchens „Muß“ und die Widerwärtigkeit gezwungener Verhältnisse entgegentreten, sammt all dem Tode, den solche Verhältnisse verschulden. – Es fehlt eben doch auch in diesem Stücke, wie in so vielen andern unsren kirchlichen Zuständen etwas, was man vielleicht nie so, wie jetzt vermißte, Leichtigkeit der Bewegung und Fluctuation. Ich weiß, wie schwer diese herzustellen ist; ich äußere mich auch nicht so, als wollte ich nun mit einem Male alles Stätige zu Gunsten der gewünschten Fluctuation über den Haufen werfen; ich erlaube mir aber doch, meine Meinung zu sagen und will sie gerne zurücknehmen, falls mich ein Irrthum beschlichen haben sollte. Ists denn aber nicht doch so? Ist die Kirche ihrer Natur nach nicht eben so fluctuirend, als stätig? Fluctuation, freie Bewegung, in jedem Geschlecht? neues, frisches, freies Zusammenschließen der ihr innerlich Zugehörigen, das sollte man ihr zugestehen und durch Hervorhebung und Durchdringung des Gedankens möglich und geläufig machen. Sie brauchte deshalb in der Stätigkeit ihrer Einrichtung nichts zu ändern; die religiöse Erziehung der Kinder etc. könnte auch bei dem Bewußtsein einer leichteren Lös- und Schließbarkeit kirchlicher Verbindungen dennoch bestehen, wie es sich ja z. B. in Nordamerica zeigt. Ewig im Ganzen, wechselnd in Betreff der einzelnen Bestandtheile, gedeiht die Kirche schwerlich recht, wenn nicht die Möglichkeit des freiesten Ab- und Zugangs, ja die Nothwendigkeit dieser Freiheit erkannt und zur Anerkennung gebracht wird. Aus freiester Ueberzeugung, nur um der Kirche selbst und der Seelen Seligkeit willen – sollte man bleiben und kommen und gehen lehren. Der HErr hat sich ja im Neuen Testamente nicht

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Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/18&oldid=- (Version vom 1.8.2018)