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oder habe sie nicht. Was es da beiderseits für eigenthümliche schwere Leiden, für unerträgliche Verlegenheiten und ärgerliche Reibungen, für schroffe Risse und Entfremdungen gibt, das wißen zwar manche Landpfarrer mit nichten, aber es gibt viele, die es wißen und unter diesem Drucke gar viel seufzen und jammern, – und es drücken diese Uebel um so schwerer, je unvermeidlicher und unabänderlicher sie erscheinen. – Versteht sich, hat dieser Unterschied zwischen Stadt und Land sich je und je kund gegeben, seitdem es festabgeschloßene Parochien gibt und ihnen congruente Beichtkreise und Beichtzwang. Was aber je und je eine Quelle vieler Leiden und Uebelstände war, das wird durch die gegenwärtige Gestalt der Landgemeinden, durch den auch innerhalb ihrer um sich greifenden Abfall zur unüberwindlichen, unerträglichen Last. Wenn je und je die dem Landmann eigenthümliche langsame Trägheit und Apathie, die angeerbte väterliche Sitte (der unverbrüchliche Comment des Bauersmanns) und Gewöhnung sich wider das Amt spreizten; so sträubt und brüstet sich nun in diesen an sich schon zähen und harten Hüllen neuer boshafter Wille und schauderhafte Feindschaft wider Gott und die heilsamen Wirkungen seines Wortes. Da vermeide nun einer Parteiung, innerliche, – und äußerlich sich kräftigst erweisende Spaltung. Der erste Erfolg eines begabten und gewißenhaften Pfarrers ist eine kenntliche Scheidung derer, die das Wort annehmen, und derer, die es verwerfen. Ihrem Urtheil folgt ihr Leben – und ihrem Leben das Urtheil.

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 Die Scheidung kommt, noch ehe der Pfarrer den Einzelnen nahe tritt, schon wenn er die Kräfte des göttlichen Wortes bloß aus der Ferne, von seiner Kanzel herab wirken läßt. Sie wird aber durch das ernste Annahen seelsorgender Liebe bei den Einzelnen oft statt, wie man hoffte, verhindert, nur desto mächtiger hervorgerufen und, wo sie ist, vollendet. Es geschieht allerdings zuweilen, daß ein zuvor feindseliges Gemüth durch die besondere Seelsorge freundlicher gestimmt wird; es hat schon mancher Vorurtheile abgelegt und dem Worte williger zugehört, nachdem er mit dem Pfarrer persönlich zu thun gehabt. Aber abgesehen davon, daß persönliches Annahen eines in öffentlichem Amt und Wirken stehenden Menschen oft nur schmeichelt, nur eine Freundschaft des alten Menschen mit dem Pfarrer stiftet, welche bei erster Gelegenheit und Probe zersplittert; sind es obendrein nur seltene Fälle, in denen selbst diese geringe Wirkung erfolgt: die Mehrzahl ist unnahbar für seelsorgende Liebe und manchmal hat selbst die freundlichste Begegnung, wenn sie die Wahrheit laut werden ließ, nichts zur Folge, als weitere Entfernung. Ach man lebt für viele so gar umsonst, verschwendet die edle Lebenszeit und Kraft so gar vergeblich! Wahrlich, die Idylle des Landpfarrerlebens mußte gar nicht in ein so schreckliches Gegentheil umschlagen, um wie schöne Seifenblasen zu zergehen. Wenn man nur für die Gemeinde, an der man steht, leben, leiden, arbeiten und ersterben dürfte, man fände es weit köstlicher als jede Idylle. So aber steht man mit einem Herzen für Hunderte oder Tausende, und siehe, sie nehmen Wort und Herz und Treue nicht an, jetzt schon gar nicht, wo der Landmann die Freiheit im Sinne des Eigennutzes ausbeutet, für diese Freiheit, das große Wort des Tages, alles opfert und so gar

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Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/17&oldid=- (Version vom 1.8.2018)