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möchte gerne allen alles werden. Was geschieht aber? Gib ihm ein Herz voll Andacht, voll Liebe, voll Friedfertigkeit, voll Stärke, Fleiß und Geduld, voll pastoraler Weisheit und Klugheit; laß ihn aufs einfältigste, treueste, glimpflichste und mildeste das Wort Gottes theilen: er wird es doch, bei allen Gaben und aller Treue, ja gerade dann am wenigsten vermeiden können, daß sich nicht vor seinen Augen schnell und je länger, je schärfer die Gemeinde theile. Ein klein Häuflein, allemal von den andern schmählich verlästert, sammelt sich zu seinem Worte; die andern sind, auch wenn sie anfangs begierig lauschten, bald enttäuscht; so haben sies nicht gemeint, einen solchen Pfarrer hatten sie nicht begehrt, sie wollten nun, er wäre von hinnen. Etliche werden im Verlauf der Zeit grimmige Feinde und der Pfarrer steht am Ende einsam und fremd der Mehrzahl seiner Gemeinde gegenüber; ist er recht gesegnet, so führt er vielleicht von Zeit zu Zeit eine Seele mehr zum kleinen Häuflein seiner treuen Schüler, von dem ihm durch Tod und andere Fügungen Gottes vielleicht eben so viele wieder genommen werden. Wir wollen nicht eben leugnen, daß die Wirkung eines Pfarrers doch auch im Ganzen und Allgemeinen sich hie und da erweise; aber groß und tiefgreifend kann sie bei der gegenwärtigen Gestalt der Gemeinden schwerlich sein. Wohl selten gibt ein rechtschaffener Diener Christi seiner Gemeinde als solcher ein beßeres Zeugnis, so viele es auch geben mag, die sich selbst täuschen und aus Gründen, welche kein Lob verdienen, eine andere Sprache führen.

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 Es ist hiebei ein großer Unterschied zwischen Stadt und Land. Die Stadt setzt durch ihre Verhältnisse und die Artung ihrer Bevölkerung der Amtsführung allerdings ganz eigenthümliche Hindernisse entgegen, welche der Landpfarrer entweder nicht oder nicht in dem Maße zu überwinden bekommt. Der Stadtpfarrer hat aber dafür auch manches Andere voraus. Er kommt z. B., zumal wenn er nicht Parochus ist, selten in die nahe, harte Berührung mit der Gemeinde als solcher, welche den Landpfarrer fast täglich quetscht und verwundet. Der städtische Pfarrer predigt – und es sammelt sich um ihn ein freies Publicum. Seine Beichtkinder wählen ihn ganz nach eigener Wahl und er hinwiederum braucht, da das Beichtverhältnis von beiden Seiten ein freies ist, auch kein Beichtkind anzunehmen, das sich etwa zu ihm begeben wollte, ohne zu ihm zu passen. Es bilden sich unter dem Schutze alten Herkommens die Beichtkreise der einzelnen städtischen Pfarrer im Frieden, fast wie eine Art von Gemeinden in der Gemeinde, und ist der Pfarrer darnach, so trägt ihn sein Publicum und Beichtkreis auf den Händen und entschädigt ihn durch seine Liebe reichlich für allen Spott und Hohn seiner Widerwärtigen, den er allenfalls erfahren muß. Da kann es wohl kommen, daß ein Pfarrer, welcher sich am persönlichen Wohlergehen genügen läßt, seine Lage innerhalb der Landeskirchen ganz erträglich finden kann, – Ganz anders der Landpfarrer! Sein Publicum, sein Beichtkreis fällt mit seinem Sprengel zusammen. Es herrscht ja nicht bloß Parochial-, sondern auch Beichtzwang in den Landgemeinden der lutherischen Kirche. Jede Gemeinde muß ihren Pfarrer haben und wer einmal ihr Pfarrer ist, ist auch Beichtvater für alle, die ihn mögen und die ihn nicht mögen, er habe die Gabe der Seelsorge

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Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/16&oldid=- (Version vom 1.8.2018)