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um sich in teufelischem Schwung gegen das Institut der äußern Kirche zu erheben und es zusammenzuwerfen. Wir, nemlich die, welche solche Befürchtungen im Herzen tragen, können uns irren, und wie süß wäre es, dereinst den Irrthum widerrufen zu dürfen; aber daß wir nur nicht Recht behalten, nur nicht die inneren Zustände der deutschen Landeskirchen richtig sehen! Daß wir nur nicht an einem Abgrund oder gar auf dünner Decke über dem Abgrund weiden!

 Es sei ferne, das Gute und die Gnade zu leugnen, welche uns der HErr geschenkt hat. Warum sind 1848 die wilden deutschen Wogen nicht weiter gestiegen, als bis zu den Thronen; warum ragten diese dennoch, ohne zu sinken oder zu stürzen, über die Fluth? Es war, größten Theils vielleicht, ein Ueberrest von alter, religiöser Ehrfurcht vor den Gesalbten Gottes, was den Waßern Einhalt that, und ohne diesen und andere Ueberreste uralten himmlischen Horts wäre wohl alles noch unendlich schlimmer geworden. Aber bei aller Anerkennung dieser Wahrheit, bei allem Gotteslob für alles, was überhaupt in den letzten Jahren und Jahrzehnten für das Reich Gottes geschehen ist, bei allen Bekehrungen so vieler Einzelnen hin und her, ist es doch eine, man darf wohl sagen unumstößliche Wahrheit, daß der religiöse Aufschwung der letzten Jahrzehente im Ganzen nicht sehr viel geändert hat, daß das wiedererscheinende hellere Licht den verzweifelt bösen Schaden nur desto greller erscheinen ließ und ihn desto verdammlicher machte, daß die Wuth der Feinde im Innern der Kirche sich nur desto mächtiger erhebt und nur desto offenbarer geworden ist, wie sehr in ihr Gegentheil die sichtbare Kirche umgeschlagen ist. Das Waßer staute sich lange, ehe es Wehr und Damm durchbrach, ein altes Verderben hat sich in den letzten Jahren hervorgethan.

 Man könnte freilich die Frage aufwerfen, ob nicht Kirchengesellschaften, in welchen einmal verderbte Volksmassen Unterkunft gefunden haben, am Ende immer demselben Schicksale unterliegen und ihrer Auflösung entgegengehen müßen? Man könnte zur Lösung der Frage um so furchtloser schreiten, als es sich ja gar nicht ums Dasein der Kirche handelt, welche unsterblich ist und auch von den Pforten der Hölle nicht überwunden werden soll, sondern im schlimmsten Fall nur von einzelnen Landeskirchen, denen so wenig, wie den einst blühenden, nun erstorbenen Kirchen des Morgenlandes und Nordafricas ewige Verheißungen gegeben sind. Allein es mag die ganze Frage hier unerörtert bleiben, und was dieses Orts hervorgehoben werden muß, ist zunächst mehr der Unterschied zwischen früheren Massenkirchen (sit venia verbo!) und denen der jetzigen Zeit. Ist gleich das Christenthum niemals ein breiter Weg auf Auen gewesen, sondern immer eine schmale, von wenigen begangene Straße; so haben doch die großen Massen unsrer Tage bei weitem mehr als die in früheren Zeiten Gott und seinem heiligen Worte entsagt und sich theoretischem und praktischem Unglauben ergeben. So gar los von göttlichen Gedanken wie jetzt, und zwar gerade von den Grundgedanken des Evangeliums ist wohl unser Volk in seiner Mehrzahl nie gewesen, seitdem man von einem christlichen Deutschland spricht. Die Wahrheit

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Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/14&oldid=- (Version vom 1.8.2018)