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werden kann, daß das geistliche Priesterthum die Befähigung zu den Werken des Amtes subsumire. Denn Lehre und Taufe in der Noth ist nicht Amtswerk, sondern Nothwerk.




 Ob meine obige Eintheilung der erheblicheren Streitpunkte der Brüder in America diesen meinen Brüdern selbst gefallen wird, weiß ich nicht, fast zweifle ich. Sei dem aber, wie ihm wolle; mehr als an allem liegt mir an der Beantwortung der Frage: ob diejenigen, welche in diesen Punkten differiren, miteinander in Kirchengemeinschaft stehen können, und ob deshalb ein friedliches Nebeneinanderstehen der Fractionen, für die Zukunft eine Sammlung der Seelen zu einerlei Erkenntnis möglich ist oder nicht?

 Nicht der für Nordamerica gefährlichste, aber in sich selbst dem Wesen des Amtes widersprechendste Punkt scheint mir, ich gestehe es, die hierarchische Auslegung der Stelle Ebr. 13, 17. Als ich oben eingehender davon schrieb, lag es mir immer schwer auf dem Herzen, daß ich so wenig Entschuldigung für diese Auslegung und deshalb so wenig begütigende Worte finden konnte. Aber ich konnte nicht. Vor lauter Bemühen, dem Manne, der in zwei Welttheilen um des Glaubens willen so viel gelitten und gethan, recht freundlich und als ein Friedenskind und womöglich Friedensstifter entgegenzukommen, verlor, wie mir wenigstens scheint, mein Wort über Ebr. 13, 17. die überzeugende Schärfe und Kraft. Vielleicht findet Herr P. Grabau selbst zu seinem misverständlichen Wort diejenige Erklärung, welche meine Befürchtung und meinetwegen diese meine Feder zu Schanden macht, indem sie mein Herz erfreut. Vielleicht habe ich misverstanden. Habe ich nicht, so ahne ich hier eine unübersteigliche Kluft und ein traurig Loos der mit P. Grabau verbundenen Gemeinden. Die übrigen Punkte der Differenz sind nicht minder wichtig, aber sie gehören doch alle, wenn man sie nemlich nach Lage der Kirche beurtheilt, mehr zu den dubiis, zu den unfertigen Sachen, obschon ichs wagte, zwischen Irrthümern und schwebenden Fragen meine Grenze zu ziehen. Die lutherische Kirche war dreihundert Jahre lang nicht im Fall, entscheiden zu müßen. An den Staat gebunden, wurden ihr dergleichen Fragen und ihre Erledigung entweder ganz erspart, oder man hatte Anlaß genug, sie so zu entscheiden, wie es für den Zustand der Cäsaropapie paßte. Die landesherrliche Kirchenordnung und landesherrliche Rescripte regelten alles; ernste Discussion kam wenig auf. Auch drückten gar oft Kriege und andere große, allgemeine Uebel nieder, so daß man froh war, wenn man sich in der einmal hergestellten und herkömmlichen Ordnung fortbewegen konnte. Es mußten americanische Verhältnisse kommen, um nur die Fragen, von denen wir hier reden, in ihrer praktischen Wichtigkeit erkennen zu können. So wie sie aber kamen, so regten sich bald alle zusammen. Die Geschichte der nordamericanischen Kirche ist desfalls für alle lutherischen Kirchen denkwürdig und lehrreich. Gegenwärtig ists nun gerade so weit gekommen, daß sich Grabaus kühnere, bei seiner großen Einsamkeit und dem Mangel an Gleichgesinnten ganz natürlich an mancher schroffen Härte leidenden

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Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/127&oldid=- (Version vom 1.8.2018)