Seite:Wilhelm Löhe - Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern.pdf/122

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

 Luther war in Betreff der Prediger für seine neuentstehenden Gemeinden in großer Verlegenheit. Bischöfe, durch welche die Ordination ferner ertheilt worden wäre, waren nicht vorhanden, und das, was aus seiner völligen Erkenntnis der wesentlichen Gleichheit des Bischofs und Presbyters heraus sich am leichtesten empfohlen hätte, dem Presbyterium die Befugnis der Ordination zuzuschreiben, – übergieng er, mit oder ohne Willen. Eine jedenfalls ungefährliche, hierarchischem Gelüsten nicht einmal im Misbrauch entgegenkommende successio presbyteralis, die ohnehin bis auf seine, wie bis auf unsre Tage factisch bestand, die eine unabweisbare Wahrheit in sich selbst trägt und auch von denen nicht geleugnet werden kann, welche sie bestreiten, – kam ihm nicht ein. Gerade wie wenn er die schriftmäßige Gleichheit der Bischöfe und Presbyter vergeßen hätte, überträgt er alles dem Volke, und der κυρία, der Herrin, die sich nun auf ihm selber nicht völlig unbedenkliche Weise ein neues Presbyterium erwählen, ja ordiniren muß (s. die Schrift an die Böhmen[1], um dem neugewählten Presbyterium dann doch nach seinem eigenen Rathe diejenigen Befugnisse zu übergeben, die andere Presbyter der nächsten Gemeinden für predigerlose Gemeinden so leicht, oder doch ohne unüberwindliche Gefahren hätten ausüben können.

.

  Dieselbe Noth, welche Luthern zwang, sich zu helfen, wie ers für möglich hielt, zwang auch andere, ihm beizustimmen. Jedoch ist schon zwischen ihm und seinem σύζυγος ein Unterschied, wie man leicht finden kann, wenn man diejenigen Stellen, welche in den symbolischen Büchern von Melanchthon stammen und über Ordination handeln, mit jenen andern aus Luthers Feder vergleicht. Man vergleiche auch Melanchthons Loci. (ed. 1559. p. 372. ff. Corp. doctr. 1569. Bl. 290. ff.) Schon hieraus ist ersichtlich, daß die herrschende große Noth denn doch von Anfang her nicht alle überwand, das Gute zu übersehen, was in der alten Ordnung lag, und die heilende Gegengabe zu verbergen und zu verschweigen. Wo die Noth nicht so groß war oder wo sie bald beseitigt wurde, findet man oft in sehr frühen Zeiten eine überraschende Anerkennung der Ordination. Es machte sich das Verlangen der nicht bloß theologisirenden, sondern im Amte arbeitenden und seufzenden Diener JEsu geltend, nicht bloß eine göttliche Gewähr des Berufs, eine testificatio vocationis, sondern auch die Gewisheit göttlichen Gnadenbeistandes zu dem Amte zu haben, welches unter allen am meisten aufs Unsichtbare säet und die Mühseligkeit des Lebens oft so sehr zu schmecken bekommt. So wurde denn je länger, je mehr die Amtsgnade, welche schon Gerhard und Balduin etc. bekennen, hervorgehoben und als Ausfluß, wenn auch nicht der Handauflegung,


  1. „Fahrt fort in dem Namen des HErrn und erwählet den oder die ihr dann wollet und die von euch würdig und geschickt dazu angesehen werden. Darnach so die (,die) dann Oberste und Fürnehmste in der Gemeinde sind, die Hand über sie gelegt haben, so bestätigens und befehlens dem Volke und der Gemeine, und demnach sollen sie eure Bischöfe, Diener oder Hirten sein, Amen.“ – Impositis super eos manibus illorum, qui potiores inter vos fuerint, confirmetis et commendatis eos populo et ecclesiae etc.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/122&oldid=- (Version vom 1.8.2018)