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 Die Kirche ist im Vergleich mit früheren Zeiten in eine sehr verschiedene Lage gekommen. In ihrer ersten Zeit war sie im weiten feindlichen Dorngestrüpp der Welt wie eine dornenlose Rose, oder wie ein im Bereich der Welt ausgestreuter göttlicher Same, welcher, obwol von der Welt gehaßt und mit Vertilgung bedroht, dennoch die Welt überwand und merkwürdig fruchtbar über die Lande hin wucherte. Später, nach vielen siegreichen Kämpfen, wurde sie zu jenem hochberühmten Baume, der seine Aeste über die Welt ausbreitete, unter dessen Schatten sich große Könige und Völker ehrerbietig niederließen; sie war eine hehre Erzieherin der Völker, vor welcher sich auch Diejenigen demüthig neigten, welche sich gegen ihren Einfluß sträubten. Könige waren ihre ersten Söhne; die Staaten traten in die engste Verbindung mit ihr; Ein Ziel schien dem Staate und der Kirche zu gelten; die Reiche der Welt gaben sich, als wollten sie des HErrn und seines Christus werden. Das ist nun alles ganz anders. War die Kirche anfangs eine Fremdlingin und Pilgerin in der Welt, waltete sie hernach wie eine priesterliche Königin über sie; so hat sichs nun umgekehrt, die Welt ist in ihr, schaltet und waltet über sie, versteht sich, so weit man dies eben sagen kann. Die Welt hat sich seit langen Zeiten auf dem Grund und Boden der Kirche angesidelt, und die Kirche selbst versäumte es, ihrer Grenzen zu hüten, so lang es noch möglich war. Ihrem Beispiel folgte der vorzumal christliche Staat je länger je mehr, bis er endlich dahin kam, sein Gebiet ungescheut für allerlei geistliches Volk und mancherlei Glauben ohne Unterschied zu öffnen. Wie die Kirche zuerst ihrer selbst nicht achtete, so wird sie nun verachtet. Ein Scheidebrief ist ihr gegeben; die Erzieherin der Völker ist ausgezogen, ohne Kron und Mantel, gebunden, verhöhnt, geschlagen, wie Unkraut geachtet, das man ausraufen, wegwerfen oder verbrennen will. Einst wohnte sie, gleichsam des Staates Weib und Genossin, auf Thronen und lenkte so manchmal Scepter und Schwert zu Ehren Gottes; nun hat der Staat kein Weib mehr, die Verstoßene schlägt auf seinem preisgegebenen Gebiete ihr Zelt auf wie die Afterkirchen. So wohnt sie nun wieder mitten unter ihren Feinden, gleichwie im Anfang, allein, gehaßt; aber leider auch ohne die große, hehre, heilige Majestät, die jenesmal aus ihr hervorleuchtete und ihren Feinden Ehrerbietung abnöthigte. Sie gewöhnt sich schwer in die neue, harte Lage; es kommt ihr zuweilen, sich gemäß ihrer früheren Zeit zu gebärden. Es wäre aber beßer, sie gewöhnte sich und wendete die Zeit zu innerer Sammlung und zur Erneuerung an, die sie nun unnütz verschwendet, alten Flitter zu retten und sich im Fallen von unmöglich gewordenem Unterbau aufzuhalten.

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Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/12&oldid=- (Version vom 1.8.2018)