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übertragen) mußte, so war dieselbe ein Befehl St. Pauls. Was aber St. Paulus befiehlt, befehlen gleicherweise alle Apostel; also war die Ordination ein Befehl der Apostel. Was nun die Apostel in der Kirche zu thun befohlen haben, das ist nöthig. Da nun die Ordination befohlen ist, so ist sie nöthig. Was aber nöthig ist, darf ordentlicher Weise nicht unterlassen werden.“ Ganz ähnlich schließen Anglicaner zum Besten ihrer kirchlichen Organisation: „Christus spricht: „„Taufet alle Völker, lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe!““ Was hat nun Christus den Aposteln befohlen? Offenbar das, was sie wieder befohlen haben. Also ist das, was die Apostel befohlen haben, Christi Befehl.“ Da nun in Nordamerica anglicanische Gedanken sich vielfach geltend machen, so konnten die sächsischen Brüder in Erinnerung des allerdings versucht werden, aus Pastor Grabau’s Worten den allgemeinen Gedanken, wie sie ihn oben faßten, zu abstrahiren und ihm denselben zuzuschreiben. Aber billig scheint mirs nicht. Ja, es wäre nicht einmal billig, den Anglicanern den Gedanken in seiner Allgemeinheit unterzulegen. Sowol Grabau, als die Anglicaner reden von einem besonderen Fall, für welchen sie ihre Schlüße geltend machen. Die dem allgemeinen Grundsatz, den beide nicht haben, widerstrebenden Bemerkungen vom Bluteßen, Verschleierung der Frauen beim Gottesdienst, Oelsalbung der Kranken (p. 71), wißen ja Grabau und die Anglicaner auch; sie würden sie zum Beweis anführen können, daß ihre Reden billiger Maßen nicht ausgedeutet werden konnten, wie es die sächsischen Brüder thaten. Ja, sie würden aus den faktischen Zustand aller Kirchengemeinschaften der ganzen Welt zum Beweise hinzeigen können, daß entweder niemand in der Welt den von den sächsischen Brüdern Grabau aufgebürdeten allgemeinen Grundsatz hege, oder auch die, welche ihn hegten, den Aposteln ungehorsam sein müßten. Denn es gibt keine Kirche, deren Zustand auch nur in den äußerlichen Dingen den apostolischen Anordnungen getreu wäre. – Indes deutet die angeregte Frage doch auf ein Bedürfnis der sich freier gestaltenden Kirche unsrer Tage. Wir müßen allerdings wißen, wiefern die äußerlichen Anordnungen und Befehle der heiligen Apostel für uns maßgebend seien oder nicht. Daß nicht alles für alle Zeiten und Orte befohlen sei, ist allgemein zugestanden; gerade die römische Kirche legt hierin ihrem Priesterthum und dessen Haupte, dem Pabste, die größte, ja eine viel zu weit greifende Macht zu Abänderungen bei. Was ist hier Rechtens? Die Grenze ist nicht scharf genug gezogen. Es ist des Fleißes und Studiums werth, hier aufzuräumen, und so wie hie oder da (wie in Nordamerica) die Kirche in den Fall tritt, frei von Gewalt, sich selbst zu gestalten, tritt die Nöthigung ein, aufs Reine zu kommen. – Sollte sich freilich ergeben, daß von allen apostolischen Anordnungen gar nichts allgemeine und dauernde Giltigkeit habe, als der Befehl des Predigtamtes, daß, wofern es nur festgehalten wird, die Formen, unter denen es in eine Gemeinde eintritt und in ihr besteht, freigegeben seien und eine jede Gemeinschaft hierin nach Uebereinkunft handeln könne, daß auch im Kirchlichen jede in der Ordnung aufgestellte menschliche Satzung göttliche Sanktion und Geltung habe: nun ja, dann könnte auch meinerseits von einem Irrthum meiner theuern Brüder in Nordamerica in Betreff der Wahl und Berufung gar keine Rede sein. Man irrt nicht, wenn man ohne Sünde verschiedenes thun kann und seine Freiheit

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Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/105&oldid=- (Version vom 1.8.2018)