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begraben das Verdienst Jesu Christi, wie es die Kirche lehrt, und heben dagegen das Verdienst eigener Werke hervor. Damit rauben sie den geängsteten Gewissen, die wohl Schmerz und Zagen der Sünde, aber kein gutes Werk bei sich befinden, ihren Trost; – morden mit Lügenpredigt, welche ihr eigenes Herz geboren hat, die Seelen; – verbreiten Ruhe des Todes, geistlichen Tod über Gottes Weinberg – und wollen für alles das noch ungescholten, ja gelobt seyn. Ihrer sind viel in unsern Tagen. Weil sie aber laut genug von sich selber predigen, dürfen wir sofort mit unserm Texte von ihnen schweigen.

 2. Diejenigen, von welchen Christus im Texte spricht, sind im Grunde eben so schlimm, ja schlimmer, als die eben Genannten. Sie wollen nicht scheinen, was sie sind. Sie wissen wohl, was Christus zu seinen Jüngern spricht: „Siehe, Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe!“ (Matth. 10, 16). Darum verkleiden sie sich, um desto sicherer unter der Heerde zu verderben, in Schafe. So waren zu Jesu Zeiten viele Pharisäer. So sind und waren zu allen Zeiten alle Heuchler und Gleißner.

 Ich scheide absichtlich zwischen Heuchlern und Gleißnern. Die Heuchler wissen gar wohl, daß sie Wölfe sind: es ist bei ihnen wissentlicher, ausgesuchter Betrug, wenn sie eine Schafsmiene annehmen. Sie arten darin ihrem Vater, dem Teufel, nach, welcher auch, um desto sicherer zu verführen, sich mühsam in einen Lichtengel verkleidet. Zu Ehren der Menschheit möchten wir hoffen, daß solcher Leute auf Erden sich nur wenige finden. Desto größer aber ist die Menge der Gleißner, welche ihre eigne Wolfsnatur, ihr verderbtes Herz mit seinem Betrug und seinen Schleichwegen, mit seiner teuflischen List sich selber geflissentlich verhehlen; – welche so verrückt sind, daß sie, obwohl Wölfe, sich dennoch selbst für Schafe alles Ernstes halten, sich als Schafe geberden und es höchst übel nehmen, wenn man sie nennt, was sie sind, nämlich Gleißner