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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

mein Kind stirbt.“ Der HErr sprach darauf: „Geh hinab, dein Sohn lebet!“ Und der Königische, was lesen wir von ihm? „Der Mensch glaubte dem Worte und gieng hin.“ Es ist eine ganz besondere Behandlung, welche dem Königischen widerfährt. Es kommt einem, wenn man so liest und überlegt, warum ihm der HErr grade so und nicht anders zusprach, der Gedanke, der Mann müße eine besondere, einschneidende Demüthigung bedurft haben. War er in Tagen des Glückes etwa gegen seine Untergebenen ein gestrenger Herr gewesen, hatte er ihnen etwa auch, was er ihnen that, mit einer ernsten und bittern Miene gethan, weil der HErr ihn anfangs von sich schreckt und endlich zwar Hilfe zusagt und gewährt, aber so gar nicht nach dem Herzenswunsch des armen Mannes? Jedenfalls zeigt Christus Seine eigene Majestät im hellen Glanze, während Er den Glauben des Königischen hervor, ans Licht zog und ihn vor andern sehen ließ. Denn ans Licht gezogen, herausgefordert hervorzutreten, wird doch jeden Falls der Glaube des Königischen durch die Worte JEsu: „Gehe hin, dein Sohn lebt!“ Und der Königische geht hin, allein wie er gekommen, ohne Hilfe zu schauen, aber doch im Glauben, fröhlich, der Hilfe gewis. Nichts von allem, was JEsus sagte, hat ihn verdroßen, alles hat ihn aufgerichtet, muthig und gehorsam gemacht. Wohl dem, der im armen, entsagungsvollen Leben Gottes Wort so fest halten und im Glauben so gehorchen kann. Prüf auch du, mein Bruder, deines Glaubens Wahrhaftigkeit und Kraft an deiner Willigkeit und deinem Gehorsam. Sei dir bei dieser Prüfung nicht allzusanft, nicht allzuleise! Sei dir aber auch, denn auch die Warnung bedarf das Menschenherz, das zur Rechten und zur Linken so gerne austritt, − sei dir nicht allzuscharf! Sei dir nicht allzuscharf und hinwiederum schieb nicht der Schwäche deines Glaubens allen Mangel deines Gehorsams zu! Bring die Hindernisse des Guten in Anschlag, die gerade dein Glaube findet, und sei nicht trostlos, wenn du bei einer großen, schweren Arbeit so schnell nicht vorwärts kommst, als ein anderer. Nicht zunächst auf die Erfolge, sondern auf die Treue sieh, auf die Willigkeit, zu gehorchen und zu dienen; denn ein treues, williges Herz, das, sei es auch in Schwachheit, redlich Gottes Wege wählt, das ist und bleibt ein edles Pfand und ein Beweis deines Glaubens, auf dem du ohne Hochmuth in stillem Frieden ruhen wirst.

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 6. Glaube − findet auf dem Wege des Gehorsams − Erfahrung, daß Glauben nicht umsonst ist. Sieh das am Königischen. Muthig geht er heim − schon unterwegs kommt ihm die Freudenbotschaft entgegen: „Dein Kind lebet“ − und als er forschte, war es gerade zu der Stunde mit seinem Sohne beßer geworden, da JEsus gesprochen hatte: „Gehe hin, dein Kind lebet,“ und da er aufgebrochen war, um heimzugehen. − Wer zuerst, ehe er glaubt, gewis werden will, wird keine Gewisheit erlangen; denn Glaubenssätze werden nimmermehr erkannt und wahr gefunden, man glaube sie denn erst dem Allerheiligsten auf Sein Wort. Hat man aber, was Gott spricht, im Glauben angenommen; so laße man getrost die Zweifel kommen, woher sie wollen, man laße sie in voller Rüstung sich stellen, − sie werden dennoch dahinsinken in ein eitles Nichts. Die gläubige Vernunft, das gläubige Verständnis braucht nicht mit geschloßenen Augen durch die Welt zu gehen; sie thue mit bescheidener, männlicher Ruhe das Auge auf, verhöre die Knechte, die Gottes Botschaft bringen, prüfe alles − genau und scharf, wie immer möglich; es wird sich am Ende selbst aus der Zeugschaft der Welt und ihrer Kinder ergeben und erweisen, daß der Glaube kein Wahn ist, daß Gott handelt, wie Er verheißt und spricht. Je länger, je leichter wird dem prüfenden, glaubenden Geiste der Weg des Glaubens, er wird durch Erfahrung aus Glauben in Glauben gehen, und jede Glaubenserfahrung wird den Glauben stärken, gleichwie der Königische glaubte, ehe er des HErrn Hilfe erfuhr, und wir denn doch am Schluß des Evangeliums mit größerem Nachdruck lesen: „Er glaubte!“ Der Glaube stellt der menschlichen Forschung und Prüfung manche Aufgabe, die ihr sonst niemand stellen könnte; er leitet die Vernunft in ein überirdisches Reich, in ein Reich der Wahrheit, für deßen Fülle und Größe jeder Menschengeist ohne des Glaubens Führung viel zu klein und eng und zu finster ist. − Das überlege und richte dich darnach! Sage mir, weißt du eine Verheißung Gottes, die sich nicht vor der überlegsamsten, prüfendsten Vernunft rechtfertigte? Alle Seine Worte bringen die entsprechenden Werke hervor. Er spricht und es geschieht unausbleiblich. Von der Verheißung

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/470&oldid=- (Version vom 31.7.2016)