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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

auch ein kurzer Abriß deßen, was am meisten hervorragt, eine Befriedigung gewähren. Erlaubet mir, daß ich gemäß dem Evangelium in kurzen Sätzen vom Jenseits rede und zuletzt vom Wege dahin.


 1. Namentlich wieder in unsern Tagen reden viele von drei Orten der Ewigkeit, von einem Orte seligen Friedens, von einem Orte der Qual und von einem dritten, wo diejenigen zur Entscheidung kämen, welche hier gestorben sind, ohne für Himmel oder Hölle reif geworden zu sein. Sie werden durch dieses Evangelium vollständig widerlegt, welches durchaus nur von zwei Orten weiß, vom Schooße Abrahams und vom Orte der Qual. Im Schooße Abrahams ruht der fromme Arme, im Orte der Qual befindet sich der gottvergeßene Reiche; zwischen den beiden Orten ist eine Kluft, die von niemand bewohnt, für die Seligen, wie für die Verfluchten gleich unübersteiglich ist. Es ist diese Scheidung des Aufenthalts aller abgeschiedenen Geister um so bedenklicher für alle Liebhaber eines dritten Ortes, als gerade der Reiche gar nicht wie ein ausgesuchter Bösewicht, sondern als ein Mensch geschildert wird, dem man allenfalls gerne den dritten Ort, wenn es einen gäbe, anweisen würde. Denn was wird von ihm und seinem hiesigen Leben im Evangelium Uebles erzählt? Nicht einmal auffallende Unbarmherzigkeit gegen Lazarus wird ihm Schuld gegeben. Das Wort hat er überhört, wie viele Tausende, das ist alles, − und das konnten ja, wie bei Tausenden, die jetzt leben, seine Verhältnisse mit sich gebracht haben, und eben deshalb könnte man eben geneigt sein, ihn in einen dritten Ort zu schicken.


 2. Manche in unsern Tagen haben sich Mühe gegeben, zu beweisen, daß die Seele im Sterben noch Zeit habe, sich zu entscheiden, − daß man auf der Schwelle zwischen Zeit und Ewigkeit noch einholen könne, was man im langen Leben versäumte. Sie haben den Zustand des Sterbens ausgedehnt und gesucht, ihn aus einem Thale des Todesschattens in eine stille Abgeschiedenheit der Seele zu verwandeln, während deren die Kräfte des heiligen Geistes mächtiger eindringen und wirken könnten. Das heißt gewaltsam Hoffnungspforten öffnen wollen − und gewis gibt zu einer Lehre dieser Art unser Evangelium gar keinen Anlaß. Im Gegentheil legt es aber nahe, daß der Tod ein Augenblick, ein kurzes „Nun“ sei, ein rascher Schritt zwischen Zeit und Ewigkeit, eine dunkle Kluft, über die man durch eine gewaltige Hand hinübergeführt werde. „Er starb und ward getragen von den Engeln in Abrahams Schooß“, so heißt es von dem armen Lazarus, und das predigt gewis nicht anders, als wie wir sagten, nämlich von einem schnellen, unaufhaltsamen Wechsel zwischen Zeit und Ewigkeit, von einer dunklen Kluft, über die man durch eine gewaltige Hand hinübergeführt werde. Wir begehren die Hand des Allmächtigen nicht zu verkürzen, wollen auch gar nicht leugnen, daß er einen oder den andern im Todesthale aufhalten und auf dem Scheidepunkte zwischen hier und jenseits zur Besinnung bringen könne; aber wir haben keine Ursache, solcher Fälle viele zu machen und unsere armen Seelen mit vergeblichen, grundlosen Hoffnungen aufzuhalten. Es ist am besten, man sieht von allen Ausnahmen, die Gott machen könnte, völlig ab und bleibt bei der gemeinen Wahrheit, welche keinen betrügt, nemlich dabei, daß jenseits kein Ort der Entscheidung mehr ist, und auf der Schwelle zwischen hier und dort auch keiner, daß der Tod eine schnelle „Veränderung“ ist, wie ihn Hiob nennt, ein Wechsel, in den sich der am getrostesten begeben kann, der Herz und Haus zuvor bestellt hat.


 3. Viele stellen sich das Leben der Seele nach dem Tode so ganz verschieden von diesem Leben vor, als hätten beide gar nichts Gleiches. Man denkt sich dasselbe wie eine Art von bloßem Gedankenleben; den Wegfall des Leibes nimmt man für einen Grund, die Seele ohne alles Organ und Werkzeug zu denken, damit sie sich kund geben und mittheilen könnte. Man hat zwar gar keine Erfahrung und Kunde von einem solchen Leben; man sucht es sich auch nicht recht klar zu machen; man läßt gerne im Nebel und im Ungewissen, was allerdings als ein pur menschliches Gedicht keine beßere Würdigung verdient. Der Mensch im Fleisch geräth auf gespenstige Gedanken, wenn er sich das Seelenleben nach dem Tode vorstellen will; in den Offenbarungen des HErrn aber ist alles anders und man erstaunt wie ganz dem zeitlichen Leben ähnlich der untrügliche Mund JEsu Christi

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 012. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/351&oldid=- (Version vom 1.8.2018)