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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

auf daß die Weißagung von der Todesart des Erlösers hinausgienge. Pilatus will nicht: „Was hat Er denn Böses gethan?“ ruft er, der innerlich von der Heiligkeit Christi überzeugt war. Aber nur desto wüthender verlangt Israel nach dem Kreuzestode seines Königs und Erlösers. Da bringt der Elende, der Muthlose, der Ungerechte und doch innerlich von Scheu und Ehrfurcht vor dem HErrn Bewältigte Waßer vors Volk, wäscht die Hände zum Zeichen und Zeugnis, daß er den Heiligen für heilig halte und gerne der Blutschuld los wäre; willig nimmt Israel, so weit es von ihm abhängt, die Schuld auf sich: „Sein Blut, schreien sie grausig und schrecklich, komm über uns und unsere Kinder.“ Und so wird der HErr den Soldaten zur Kreuzigung hingegeben. Vor der Kreuzigung thut man, wie gewöhnlich, man geißelt den heiligsten Leib; ja, innen im Hof des Richthauses kommt die ganze Cohorte römischer Soldaten zusammen, welche dort aufgestellt war; mit einer Freude, die Gott geklagt sei, krönen sie den Bluttriefenden und Nackten mit jener Dornenkrone, die wir seitdem mit Gefühlen der tiefsten Wehmuth und mit Scheu im Geist betrachten, − geben Ihm statt des Scepters ein Rohr in die heiligen Hände, − einen elenden, rothen Reitermantel um die purpurne, blutende Schulter, − sie beugen die Kniee vor Ihm und speien Ihm ins Gesicht, − sie grüßen Ihn mit verfluchten Spottworten als den Judenkönig und schlagen Ihm die Dornenkrone ins Haupt, daß Ihm sein Königtum festsitze. So helfen diese Soldaten − ach vielleicht Deutsche, denn eine deutsche Legion, im Dienste der Römer, soll damals in Jerusalem gelegen sein, − dem Volk Israel seinen wahrhaftigen König verachten und überbieten, wenn nicht an Wuth, doch an Spott und Hohn das Volk des Gesalbten. Pilatus sieht die höchste Ungebühr. Noch einmal, von Mitleid bewogen, führt er Ihn im spöttlichsten Aufzug, in welchem man einen hochgeborenen König schauen kann, hinaus zu den Juden. Mit den Worten: „Seht, welch ein Mensch“ − welch ein armer, verachteter, genug und übergenug und zur höchsten Ungebühr verhöhnter Mensch! − mit den Worten fleht er um Mitleid. Und Er Selbst, der Heilige, vor deßen Füßen ich niederfallen, sie umfaßen und küßen möchte, indem ich das sage, ich elender, fluchbeladener und fluchwürdiger Sünder, − Er Selbst steht voll Blut, voll Thränen, voll Schmach, ein Spott aller Menschen, ein Schauspiel, vor dem die Engel ihr Angesicht verbergen, − ein König, erniedrigt, wie mans nie hätte glauben können, − und findet kein Mitleid. Das wüthende „Kreuzige, Kreuzige“ erschallt wieder. „Nehmt ihr Ihn hin und tödtet Ihn, ruft Pilatus, denn ich finde keine Schuld an Ihm.“ Antwort: „Er muß sterben, denn Er hat gelästert, denn Er hat Sich zu Gottes Sohn gemacht.“ „Zu Gottes Sohn“ − Pilatus ist nicht JEsu Feind, er ist auch nicht Sein Jünger, er ist ein gottloser, ungerechter Richter, aber doch auch wieder nicht ungerecht aus Haß gegen JEsum. JEsus hat einen so mächtigen Eindruck auf ihn gemacht trotz all des Spotts und Hohnes, daß er es glaublich findet, Er sei Gottes Sohn. Ach, was für ein Mann, was für ein Benehmen, daß man, auch wenn man Pilatus war und hieß, von solcher Erniedrigung nicht gehindert war, in Ihm einen Sohn Gottes zu erkennen. Noch einmal nimmt Pilatus den Verhöhnten ins Richthaus: „Von wannen bist Du?“ ruft er. Keine Antwort. „Ich kann Dich kreuzigen und loslaßen, und Du redest nicht mit mir?“ − Antwort: „Du hättest keine Macht wider Mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre; der Mich dir überantwortet hat, hat größere Sünde.“ Stille, gefaßte, getroste, hohe, eines Gottessohns würdige, ja richterliche Antwort. Sie beantwortet Pilati Frage: „Von wannen bist Du?“ ohne ein Wort zur Antwort darauf zu sagen. Pilatus fühlt, von wannen Er ist, − es dringt sich ihm, dem Entarteten, dem von Christo freundlich und gnädig Geschonten, fast der Glaube auf. Er trachtet, Ihn loszulaßen; die Gottesnähe des HErrn stärkt sein Gerechtigkeitsgefühl: der Himmel winkt ihm. Aber als er seinen Entschluß vor der Menge ankündigt, da streckt der Satan seine Hand nach ihm mächtig aus. „Wenn du Diesen losläßest, bist du des Kaisers Freund nicht, denn jeder, der sich zum König macht, ist wider den Kaiser.“ Hiemit ist er gefangen, in seinen Lebensgang, in seine Wirklichkeit zurückversetzt. Er sieht die Klage, die wider JEsum erklungen, sich wider ihn selbst erheben. Nun kann er nicht mehr. Er führt JEsum heraus, er setzt sich auf den Richtstuhl. Noch einmal ruft er, wie wenn sich zum letzten Male sein beßeres Theil in ihm regte: „Seht euern König!“ In mächtigem Anlauf erhebt sich, wie zum Siege, der Haufe, und seine Wuth, seine teufelische, aus der Hölle entzündete:

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/321&oldid=- (Version vom 8.8.2016)