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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Glaube, auf den man lange wartete, für deßen Eintreten die Menschen lange Zeit zusammen verwahrt und verschloßen wurden, der endlich kam und der Welt ein anderes Dasein und eine andere Hoffnung gab. Es ist ein schöner Name für Christum, der Glaube. Schön ist der Name „Erscheinung der heilsamen Gnade“, „Erscheinung der Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes unseres Heilandes“; aber wenn Christus der Glaube heißt, so hat dieser Name für uns Menschen das voraus, daß er uns kurz und völlig erinnert, wie alle Gottesfülle, die in Christo wohnt, allein uns zukommen kann, nemlich durch den Glauben. Wir haben alles, den ganzen Christus, wenn wir fest faßen und glauben, was der Mund des heiligen Geistes von Ihm verkündet. Ehe der Glaube, ehe Christus kam, war die Welt ein Haufe von Kindern, deren Bestimmung noch nicht erschienen war; ein Zuchtmeister, das göttliche Gesetz, welches die Juden strenger, die Heiden durch ihr Gewißen auf eine laxere Weise beherrschte, zog und arbeitete an ihnen, − vergeblich, wie sichs denken läßt. Denn ein Erzieher hat zwar große, schwere Mühe, seine Knaben zu verwahren, zusammenzuhalten und sie für die Zeit reif zu machen, wo sie aus der Schule kommen sollen; es ist auch seine Mühe mit allem Dank zu erkennen, denn wie schlimm wärs, wenn die Knaben keinen Zuchtmeister hätten; aber wahrhaft beßern und erneuen, nein, das können Zuchtmeister und Erzieher nicht, und ob sie sichs einbilden, ists drum noch nicht wahr. Ganz wohl hoffen die Leute mehr von den verständigen Jahren, als von der Zeit der Zucht; es muß Verstand und Weisheit, eigene Regung und Bewegung zum Beßeren kommen, oder es wird allewege nichts mit einem Menschen. − Gerade so ists mit dem Gesetze gewesen. Es war nicht unnütz, weil es dem natürlichen Sinn der Menschen widerstand, weil es ihnen Zwang anthat und ihnen begreiflich machte, daß Gottes Wille dem ihrigen widerstand, weil es eine Sehnsucht nach beßerer Zeit in ihnen weckte. Aber der rechte Nutzen kam nicht vom Gesetz, denn es gab keinen Geist der Erneuerung. Das wurde anders, als der Glaube, als Christus kam.

 Da wurden alle, die an Ihn gläubig wurden, dem jammervollen Zwang und Drang des Gesetzes entnommen, der Zuchtmeister lieferte seine Zöglinge, mit denen er nicht hatte fertig werden können, aus, und statt des äußern Befehls und Zwangs wurde ihnen nun ein neuer Geist heiliger Freiwilligkeit und getrosten, starken Muthes gegeben, es kam ein Geist und ein Bewußtsein der Kindschaft in sie hinein und eine heilige Liebe des Vaters mahnte und trieb sie nun mehr, als zuvor alle Gebote, den väterlichen Willen zu vollbringen. Es hieß nun: „Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“

 Diese ganze Aenderung wurde durch Den hervorgebracht, welcher der Glaube heißt, durch Christum. Die Gnade und Leutseligkeit Gottes, die in Ihm offenbart wurde, überwog und überwand die Menschen, sie glaubten daran und ließen sich taufen. In der Taufe empfiengen sie neue Lebenskräfte. Wie man ein Kleid anzieht, so zogen sie in der Taufe Christum an. Wie ein Kleid die Blöße deckt, so deckte Christus, den man anzog, alle Sünden und Flecken der Seele. Wie kein Kleid theilte Christus, den man angezogen, der von Ihm bedeckten Seele Lebenskräfte zu und Kräfte der Erneuerung. Mehr als das beste Kleid hielt Er die mitgetheilte neue Lebenskraft und Wärme zusammen und schaffte dem zuvor Verlorenen die Möglichkeit, im Guten heimisch zu werden und sich mit fröhlichem Behagen auf Gottes Wegen und in Gottes Willen zu bewegen. – – Und das alles ist kein Traum, so sagt unsere Epistel, so kann es jeder erfahren, und wir werden heute, am Beschneidungstag des HErrn, hiemit ganz schön an die rechte Beschneidung erinnert, an unsere Taufe, welche nicht am Fleisch vollzogen wird, sondern eine Beschneidung des Herzens ist, eine mächtige Gotteskraft zur Erneuerung unserer Seelen.

 Die Beschneidung JEsu und Seine Geburt gehören zusammen. Das Weihnachtsfest schließt mit dem Beschneidungsfeste. Dieses ist drum noch vorherrschend ein Freudenfest, ein Dankfest für die Menschwerdung und Erscheinung Christi. Denken wir nun dran, was uns durch Christum geworden, wie wir durch Ihn und Seine Taufe zur rechten Beschneidung kamen, so wird uns der Beschneidungstag JEsu um so mehr ein Dankfest. Vollkommen aber wird unser Dank erst dann, wenn wir den Inhalt der zwei letzten Verse unsrer Epistel dazu nehmen.

 Die Wohlthat Christi, die Beschneidung der Seelen soll nemlich nicht bloß einem Theile der Menschen zukommen, nicht etwa bloß den Juden, sondern allen. Juden und Griechen, Knechte und Freie, Männer und Weiber − alle haben Theil an dem gemeinsamen Christus,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/266&oldid=- (Version vom 14.8.2016)